Vesteralen

Tag 200 - Norwegen. 70-80 km/h wird meine neue Reisegeschwindigkeit, denn die Fahrweise der Norweger ist ansteckend. Keiner drängelt, keiner hupt, immer hält man an wenn ein Fußgänger auch nur den Anschein erweckt er könne, egal wo, über die Straße gehen wollen
und vor allem halten sich alle an Geschwindigkeitsvorschriften, was zuweilen aber auch etwas übertrieben wird. Vielleicht ist es die Landschaft, sind es die teilweisen langen, schnurgeraden Straßen, die weitgeschwungenen Kurven die zum Cruisen einladen.
Ich habe mich entschlossen doch bis an die Spitze der Insel Andoya nach Andenes zu fahren. Der Weg ist das Ziel und vielleicht lag der Hausbesitzer in Gryllefjord ja auch falsch. Wieder einmal hängen die Wolken tief, verspricht die Wetter-App für diesen Tag eine Regenwahrscheinlichkeit von 84%. Dem Himmel nach zu urteilen könnte es diesmal sogar klappen, aber auch wenn die Wolken weit die Berghänge hinunterhängen, nieselt es auf der gesamten Fahrt nur gelegentlich. Hinter dem nächsten Tunnel, am nächsten Fjord ist meist wieder Schluss. Ich fahre die Ostroute nordwärts, die überwiegend nah am Wasser entlangführt. Nach etwa der Hälfte der gut 50 km langen Strecke öffnet sich die Insel zu einer weiten Ebene und die Felsenkette rückt zurück an den Westrand. Sehr gut ist nun zu sehen wie die Wolken aus Richtung Grönland kommend an den Bergkämmen hängen bleiben und sich darüber hinweg zu ziehen scheinen und dabei ihre Wasserfracht zum Teil offenbar schon verlieren. Ich komme in Andenes an und finde ein verschlafenes Nest vor. Nur wenige Menschen auf den Straßen, vereinzelt scheinbar Bewohner, die mit ihren Kindern spielen oder spazieren gehen, zwei Fahrradtouristen mit Gepäck, ein mir entgegenkommendes Wohnmobil, eine Handvoll Pkws. Überhaupt sehe ich immer wieder Wohnmobile, aber meistens haben sie norwegische Kennzeichen und die wenigen ausländischen Wohnmobile tragen in erster Linie deutsche und finnische Kennzeichen, vielleicht nochmal ein niederländisches. Ich fahre beim Whalewatching-Center vor und erfahre, dass das Schiff bereits seit etwa 45 Minuten unterwegs ist. Ich tröste mich damit, dass der Check-in schon anderthalb Stunden vorher gewesen war und ich das auf keinen Fall geschafft hätte. Es fahren also doch Schiffe hinaus. Das nächste fährt übermorgen und ich beschließe, die erneute Anfahrt auf mich zu nehmen und mitzufahren wenn das Wetter mitspielt. Für die Weiterfahrt wieder zurück Richtung Süden wähle ich die Westroute. Hier sehe ich heute zum ersten Mal die Sonne und man könnte von aufgelockerter Bewölkung sprechen.
Dauercampingplatz !?
Wenn ich in den letzten Tagen mit den Schiffen so meine liebe Not hatte und ich jedes mal zu spät kam, so tauchte in dieser ansonsten eher menschenleeren Gegend, zwischen Felskette auf der einen und Meer auf der anderen Seite der Straße, ein als Aussichtspunkt ausgewiesener Parkplatz mit einem in Beton und Spiegeln gehaltenes architektonisches Etwas auf, an dem mir das Frau/Mann-Symbol an einer der Türen diesmal im allerletzten Augenblick daher kommt. Als ich die Tür öffne stehe ich schon fast wieder draußen, denn von der Küste, keine 100 Meter entfernt, trennt mich nur ein riesiger, vom Boden bis zur Decke und von einer Wand zur anderen reichender, von innen durchsichtiger Spiegel. So bekommt der Begriff Aussichtspunkt mal eine ganz andere oder zumindest besondere Bedeutung. Und als sei die gefühlt offene Wand noch nicht genug, ist der gesamte Raum verspiegelt und findet man, neben einer relativen Sauberkeit, Toilettenpapier gleich in mehreren Rollen, lauwarmes Wasser und Seife vor. Es fehlt eigentlich nur noch Musik, aber dann wäre es kein "Stilles Örtchen" mehr.
Unterwegs halte ich Ausschau nach weiteren Unterkunftsmöglichkeiten, da die Anfahrt zum eventuellen Whalewatching so kurz wie möglich sein soll. Kurz bevor ich die Insel Andoya wieder verlassen muss weist ein Hinweisschild auf eine etwa 10 km entfernte Übernachtungsmöglichkeit hin. B&B auf einer Husky-Farm, warum eigentlich nicht, denke ich mir und fahre ab. Mein Ankommen bleibt nicht unbemerkt und mehr als 20 Hunde schlagen ein Begrüßungsbellen an, das man noch im Nachbarort hören müsste. Eine junge deutsche Frau erscheint und sofort ist wieder Ruhe. Das Ferienhaus sei komplett frei und so hätte ich schon mal eine Unterkunft, damit der Anfahrtsweg zum Whalewatching nicht zu lang ist. Als es dann etwas später wieder zu regnen beginnt stehe ich auch schon fast vor meiner nächsten Hütte in Skjellbogen Hyttegrend, aus deren Fenster ich direkt auf den wenige Meter unter mir befindlichen Fjord blicke.
Das Wetter ist auch heute morgen zumindest einen kurzen Gedanken wert, denn der Hausbesitzer hatte mir am Abend zuvor noch mitgeteilt, dass die Aussicht eher schlecht und mit kräftigem Regen zu rechnen sei. Als ich das erste Mal die Gardine zur Seite schiebe hat er leider Recht. Einige Zeit später aber scheint die Sonne durchs Fenster und ich sehe einen teilweise blauen Himmel. Die Sachen sind schnell gepackt, denn heute will ich einen weiteren Teil der Versteralen, einer Inselgruppe nordöstlich der Lofoten im wahrsten Sinn des Wortes erfahren. Wieder einmal fahre ich über kleinere Straßen in denen der Begegnungsverkehr mehrspuriger Fahrzeuge nur an den dafür vorgesehenen Buchten stattfinden kann. Ich habe die nach Südwesten führende Straße fast meistens allein, folge ihr dann in einem weitem Bogen südwärts um die Insel herum und fahre einige Kilometer später wieder auf die zuvor bereits gefahrenen Straße weiter Richtung Stokmarknes. Im Gegensatz zu anderen Ländern und sicher auch zum Süden Norwegens gibt es hier in Nordnorwegen nicht viele Ausweichmöglichkeiten um mal eine andere Straße zu befahren. Nicht selten muss man auf der gleichen Straße wieder zurück auf der man gekommen ist. Da sich zur Zeit das Wetter ständig ändert und wenn die Sonne mal scheint je nach Fahrtrichtung aus unterschiedlichen Richtungen kommt, ist mir im Augenblick noch keineswegs langweilig, sehe ich die gleiche Straße aus immer neuen Perspektiven.
Und die kann sich sehen lassen. Eine Bergwelt bei strahlend blauem Himmel zu erleben ist sicher ein Erlebnis und gut für gelungene Fotoaufnahmen. Nun aber ist der Himmel grau und tief wolkenverhangen und dennoch wirkt dieses Grau in Kombination mit dem dunklen, feuchtschimmernden Grüntönen der Berghänge geradezu mystisch, wird Grau zu einer Farbe mit den unterschiedlichsten Schattierungen, bei der mir nur das "Lebhafte Mausgrau" zu fehlen scheint. Hatten in der Finnmark und um Tromsö herum die Berghänge eher gradlinig verlaufende Rücken und gemäßigte Abhänge, sind es hier schroffe, steile Kanten und zackige Gipfelgrate. Diese Bergwelt wirkt wie eine Filmkulisse. Je weiter ich nach Stokmarknes komme, nimmt der Himmel immer mehr ein fast apokalyptisches Aussehen an. Die Umrundung der Insel auf der Stokmarknes sich befindet und die fast zwei Stunden dauern kann, erspare ich mir deshalb. Gerade noch rechtzeitig finde ich Unterschlupft in einem Wartehäuschen und warte dort das Ende des kurzen aber heftigen Regengusses ab.
"Hurtigruten-Museum" in Stokmarknes
Wenig später stehe ich in Sortland, einer Stadt quasi als Kreuzungspunkt um in unterschiedliche Richtungen weiterfahren zu können. Ich rufe im Whalewatching-Center in Andernes an und erfahre leider, dass die Touren für die nächsten Tage wegen schlechten Wetters, insbesondere starken Windes gecancelt worden sind. Das ist schade, aber nicht zu ändern. Hier in Sortland, könnte man sagen, trennen sich die Wege und ich könnte ab hier zu den Lofoten weiterfahren, aber es ist auch schon Nachmittag und ich würde gerne langsam wieder irgendwo ankommen wollen. 30 Minuten entfernt wäre die Unterkunft der letzten Nacht und sicher noch frei. Laut Navi sind es bis zur Husky-Farm 70 Minuten. Ich entschließe mich für die Husky-Farm und schaffe es in 60. Ich betrete das Haus und bin überrascht, denn mit dieser, keine Wünsche offen lassenden Ausstattung hatte ich für den Preis nicht gerechnet. Morgenfrüh werde ich mir dann die Husky-Farm ansehen und beim Füttern helfen. Sind zwar keine Wale, aber Huskys hat man auch nicht jeden Tag. Es sollen 28 sein.
Ich habe beschlossen noch einen Tag länger zu bleiben. Zum Einen ist die Unterkunft geradezu perfekt und zum Anderen will ich einen Rückruf abwarten, weil ein anderer Whalewatching Anbieter morgen rausfahren könnte, was sich dann allerdings auch zerschlägt. Ich setze mich aufs Motorrad, weil ich noch etwas einkaufen muss. Die Fahrt lege ich etwas großzügiger aus, umrunde die Halbinsel auf der ich mich befinde und gerate bei einem Campingplatz am Ende der asphaltierten Straße für ein paar wenige Kilometer auf eine einsame, direkt am Wasser entlangführende, mit Wasserpfützen übersäte Schotter-Matschpiste. Ich bin froh dann doch nicht umgekehrt zu sein, denn nur ein paar hundert Meter vor der Zivilisation in Form von drei Häusern laufen keine 20 Meter vor mir zwei Jungelche über den Schotterweg. Eine Helmkamera wäre jetzt gut gewesen, denn bis ich meinen Fotoapparat "scharf" gemacht habe, sind beide zwischen den Bäumen fast verschwunden, drehen sich vorher zwar nochmal kurz neugierig um und traben dann in den Wald. Etwa 30 Meter weiter links stehen zwei weitere Jungelche an der Lichtung und beäugen mich, aber anstatt etwas nach vorne zu treten und sich in voller Größe zu zeigen, legen sie sich hin und betrachten weiter den seltsamen Menschen mit Helm auf dem Kopf.
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