Glück im Unglück

Mein Frühstück nehme ich in einem nahen Restaurant ein und platze damit offenbar in Filmvorbereitungen der kirgisischen Version von "Rote Rosen" oder so. Bevor ich zum unfreiwilligen Statisten werde verlasse ich das Restaurant wieder.

Die Instandsetzung meines Motorrades hat geklappt, es springt wieder an. Es sei das Starterrelais gewesen, meint man. Da es bereits im letzten Jahr Startprobleme gab, hatte ich ein solches bereits im Gepäck. Morgen kann es losgehen.
Gestern war noch einmal abhängen angesagt. Anfangs im wahrsten Sinn des Wortes, denn aufgrund eines Defekts am Türschloss kann ich mein Hotelzimmers erst am späten Vormittag verlassen.

Freizeitpark

Auf dem Bazar

Später sitze ich auf einer Parkbank und werde von zwei Männern angesprochen, offenbar annehmend ich sei ein russischer Tourist. Ich kläre den Irrtum auf und tausche ein paar Sätze mittels Übersetzer App mit ihnen aus. Überraschend erhalte ich vom älteren der beiden dann eine Einladung ins akademische Musik- und Dramatheater von Osh, dem zweitältesten Theater in Krigistan, zu einem " Class Konzert", offenbar einer Jahrgangsabschlussvorstellung von Schauspielstudenten.
Es wird eine sehr abwechslungsreiche und unterhaltsame Vorstellung aus Musical, Slapstick, Theater und Klamauk, die nach knapp über 2 Stunden mit dem gemeinsamen Auftreten aller Akteure, scheinbar politischer Prominenz und dem Direktor bzw. Regisseur endet, dem Mann, von dem ich eingeladen worden war.



Was den Griechen der Ouzo und den Japanern der Reiswein, ist den Kirgisen der Chalap, ein nationales Getränk aus Sauermilch, Wasser und Salz. In Usbekistan und Kirgistan wird Chalap traditionell aus Kuhmilch gewonnen und hat seinen Ursprung bei den Nomaden.
In der Mongolei hingegen, das Getränk heißt dort Airag, nehmen die Nomaden noch heute gegorene Stutenmilch.
Chalap schmeckt mir, nach anfänglicher kleinerer Gewöhnungsphase, recht gut. Es schmeckt ganz leicht säuerlich und hinterlässt einen erfrischenden Eindruck.


Beshbarmak-Kirgisisches Nationalgericht aus Pferdefleisch 

Und einmal mehr fällt mir auf, dass es hier sehr wenige Brillenträger gibt. Am Nachbartisch im Restaurantgarten zum Beispiel sitzen 2 Frauen und 10 Männer, eine geführte Motorradgruppe aus der Schweiz wie ich dann von ihnen erfahre. 8 tragen eine Brille. Im restlichen von Einheimischen gut besuchten Restaurant tragen nur 3 eine Brille. Die Gruppe buchte 2 Wochen Kirgistan und habe sich erst am Flughafen in Zürich kennengelernt erzählt man mir. 4500 € plus Flug habe die Reise gekostet und ich denke bei mir "alles richtig gemacht"

Nach einem letzten abendlichen Bummel, auch über den tagsüber turbulenten, jetzt im Halbdunkel liegenden und ausgestorbenen Bazar, halte ich für den Heimweg ein Taxi an. Glück gehabt, denn die meisten sind besetzt. Zunächst aber geht es in die entgegengesetzte Richtung. Ein jugendlicher Fahrgast den ich dann im Fond entdecke, muss zuvor noch kurz etwas einkaufen und dann fahren wir über teils staubige enge Straßen ins Randgebiet von Osh. Sight seeing der besonderen Art. Auf Umwegen gelange ich dann aber doch ans Ziel.

Nomaden-Camp

Wenn es nicht laufen soll, dann läuft's eben nicht. Nach fast 7 Stunden und 270 km geht mein Motorrad 11km vor meinem ersten Etappenziel in Kazarman während der Fahrt plötzlich aus. Gott sei dank bin ich wieder auf Asphalt und nicht mehr auf Schotter und Waschbrett über den Pass unterwegs. 

Viele Wagen fahren hier allerdings ebenfalls nicht, dennoch dauert es nicht lange und ein Abschleppdienst wird anrufen. Mit Unterstützung eines Vorbeifahrenden laden wir das Motorrad in den Mercedes Sprinter. Samat, der Fahrer, bietet mir an mein Motorrad für 9000 Som (ca. 97€) morgen auch ins 470 km entfernte Bishkek, der Hauptstadt von Kirgistan zu transportieren und fährt mich zu meinem gebuchten Hostel. 

Doch auch hier läuft es nicht wie geplant. Man sei leider ausgebucht habe aber eine Alternative. Vom Randgebiet geht's in den kleinen Ort. Von einem freistehenden Haus mit Garten in einen 3 geschossigen Häuserblock, der in Deutschland zum Abriss freigegeben wäre, von einem Doppelzimmer in eine dennoch relativ gut renovierte 2 Zimmerwohnung. Ich sei der erste Gast, teilt mir die etwas englisch sprechende jugendliche Tochter mit und dann beginnt sie gemeinsam mit ihrer Mutter, der Hostelbesitzerin, und 2 weiteren Frauen der Familie einen Tisch und 2 Stühle aufzustellen, Süßigkeiten, jede Menge Obst, Kaffee und Tee hinzustellen, eine neue Matratze auszupacken, das Bett zu beziehen und Dusche und Toilette akribisch zu putzen. Morgen wird man mir dann noch ein Frühstück servieren.

Esszimmer 2-Zimmerwohnung

Esszimmer Hostel

Um 8 Uhr werde ich jedoch überraschend abholt, werfe meine Sachen hastig in meine Tasche und nehme dann das Frühstück im Hostel ein. Um 9 Uhr, zwei Stunden früher als geplant, geht es bereits in Richtung Bishkek.
Nach kurzer Zeit beschleicht mich das Gefühl etwas übersehen zu haben und ich beginne meine Geldbörse zu vermissen. Ich durchsuche meine Tasche und meine Sachen. Negativ. Also zurück zur Wohnung. Negativ.
Zusammen mit der Hostelbesitzerin durchsuche ich erneut alle meine Sachen. Negativ. Langsam kommt der ehemalige Polizist in mir auf. Auf der Fahrt zur Wohnung hatte ich am Abend zuvor an einem Automaten Bargeld abgehoben und der Besitzerin dann in der Wohnung das Geld für die Übernachtung gegeben, die Wohnung wegen eines Gewitters danach nicht mehr verlassen und heute morgen die Wohnungstür von innen wieder aufgeschlossen. Es gäbe somit 4 Verdächtige. Mein Puls ist gefühlt mittlerweile auf 120. Eine größere Menge an Euro Dollars und meinen Reisepass habe ich zwar noch, aber in meinem Portemonnaie befinden sich die beiden Kreditkarten und etwas Bargeld.
Es nützt nichts, die Polizei muss eingeschaltet werden, obwohl das alles nicht zu den vielen guten Rezensionen, die das Hostel erhalten hat und dem Verhalten am Abend zuvor passen will. Zurück im Hostel erkläre ich der Tochter des Hauses die Situation und meine Gedanken. Wenig später findet sie dann plötzlich meine Geldbörse.

Es fehlt nichts. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Mit bleibt nichts anderes als mich mehrmals zu entschuldigen, denn Sie fand das Portemonnaie nicht zufällig, sondern beim erneuten Durchsuchen meiner Sachen.
Es gibt Geschichten, die muss man nicht erleben und solche, die sollte man eigentlich für sich behalten.

Wir holen noch die Großmutter und deren Tochter eines Freundes der Familie aus einem Nachbardorf ab und erreichen nach 8 Stunden Fahrt Bishkek. Es ist Wochenende, die mir empfohlene Werkstatt öffnet erst wieder am Montag. Dann werde ich die Zeit Wohl oder Übel in der Hauptstadt verbringen müssen. Im schlimmsten Fall, wovon ich im Augenblick nicht ausgehe, hätte ich ab Bishkek gute Flugverbindungen nach Deutschland und vom Hotel aus ließe sich der Rücktransport des Motorrades organisieren. 

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