Dem Pamir so nah

Die ersten Blätter fallen und zeugen vom nahenden Herbst. Auf den kleinen Feldern wird die karge Getreideernte eingebracht und wie früher die Spreu vom Weizen getrennt.


Ich verlasse Langar um 9 Uhr. Es ist erneut sehr diesig und so sieht man von der afghanischen Seite alles nur wie durch einem Schleier. Schade zwar, aber ich habe es bis hierher geschafft und werde es auch noch weiter schaffen, dann darf es auch einmal nicht so sein wie gewünscht. Gleich hinter Langar geht es auf einem schmalen Schotterweg schnell auf über 3500 m in die Berge. Ein weiter Blick ins Waghan Valley wäre jetzt schon schön, aber so kann ich mich mehr auf den Schotterweg konzentrieren. Immer wieder muss ich anhalten weil eine kleinere Schaf-, Ziegen oder Kuhherde mir entgegenkommt. Nach etwa 4 Stunden werde ich an einem Grenzposten kontrolliert, muss sogar meine Koffer öffnen. Ab da zweigt der Weg ab nach Norden, weg von der afghanischen Grenze Richtung Pamir Highway.

Kurze Zeit später erlebe ich was es heißt auf so genanntem "Waschbrett" zu fahren. Aber keinem normalen sondern XXL Waschbrett. Die jeweiligen Wellen sind deutlich höher und mal etwas mehr, mal etwas weniger weit auseinanderliegend. Schnelleres Fahren ist absolut nicht möglich, weil durch die sich aufbauenden Schwingungen mir schon bald der Lenker aus der Hand geschlagen werden könnte. Immer wieder wird das Ganze durch ein längeres Sand-Kiesgemisch unterbrochen, das in seiner Beschaffenheit auch als Unterlage bei der Pflasterung Verwendung finden könnte. Auf einem kleinen Pass in 4320 m Höhe halte ich an. Mein Körper sendet mir bezüglich der Höhe keine nennenswerten Signale, aber dafür ist der Nacken total verspannt.

4 Biker aus Kasachstan halten an, fragen ob alles okay sei und sind dann auch schon wieder unterwegs. Ich blicke ihnen hinterher und wünsche mir eine Federung wie bei deren großer KTM oder BMW. Sie scheinen mit einer Leichtigkeit übers Waschbrett zu fliegen.
Nach mehr als 2 Stunden ist mein Bedarf an Waschbrett dann allerdings mehr als gedeckt, sind meine Toleranzlampen bereits hellrot, als der asphaltierte Pamir Highway auftaucht. Viele Bodenwellen und Schlaglöcher, aber ich komme voran. Nach fast 9 Stunden erreiche ich Murgab, einer Art Containerort an der Schnittstelle zu Kirgisistan und dem nahen China. Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und nur eine kleine Pause gemacht. Mein Körper schreit. Ich checke im sehr einfachen Hotel ein, in dem kurze Zeit später auch die 4er Truppe aus Kasachstan eintrifft. Wenigstens gibt es Internet, wenn auch nur sehr schwach.

Murgab


Kurz vor 9 Uhr bin ich wieder unterwegs. Die 4er Truppe ist schon längst weg. Sie wollte so schnell wie möglich nach Osh in Kirgisistan. Ich nicht. Ich habe vollgetankt und mein Geld reicht noch für eine weitere Übernachtung. Zeit habe ich auch, denn zurück nach Duschanbe, das hat mir der 4320 m Pass gezeigt, werde ich nicht mehr müssen.

Eine Herde Yaks

Die Übernachtung habe ich in Karakul, etwa 50 km vor der Grenze nach Kirgisistan vorgesehen. Karakul ist zeitlich gut zu erreichen und so mache ich einen 60 km langen Abstecher ins Rangkul Tal, nahe der chinesischen Grenze. Auf 3900 m, entfernt auf beiden Seiten von Bergrücken eingerahmt, nehme ich auf dem weitläufigen, wüstenähnlichen Hochplateau die "Nebenfahrspuren" die über die Zeit entstanden sind, weil die eigentliche Straße ähnlich ist wie die gestrige Waschbrettpiste. Vorbei an zwei Seen, dem Rangkul und dem Shorkul, deren Ufer an einigen Stellen von einer dünnen Salzschicht bedeckt sind, Salz das aus den Felsen gewaschen wird, erreiche ich nach 90 Minuten den Ort Rangkul. Die ärmlichen containerähnlichen Flachdachwohnhäuser sind großzügig in der öden und trostlosen Gegend aus Sand und Schotter verteilt. Verblichene Hörner von Ziegen liegen im Sand. Nur weniges, Heidepflanzen ähnliches Gestrüpp wächst hier und da. Straßen gibt es keine und nur ein paar wenige Fahrspuren deuten an wo die 4 oder 5 Fahrzeuge die ich sehe langzufahren scheinen. Am Ortsrand steht ein Militärgebäude. Der Soldat auf dem hohen Aussichtsturm hat mich offenbar kommen sehen und tritt, das Gewehr schulternd ans Geländer. Ich drehe eine Runde durchs Dorf und fahre wieder zurück zum Highway.

Es ist entspannend wieder weitestgehend relativ gut zu befahrenen Asphalt unter den Reifen zu spüren. Meist schnurgerade zieht sich die Straße über das Hochplateau auf der mir kein Fahrzeug entgegenkommt. Die Berge zu beiden Seiten wechseln mit jedem Kilometer ihre Farbe. In dieser Höhe wirken die sonstigen Riesen im Grunde nur noch halb so groß, fast wie ein mitteldeutscher Höhenzug.
Zwei Radfahrer stehen am Fahrbahnrand, haben keine Probleme, machen nur eine Pause. Dann rücken die niedriger werdenden Berge zusammen, steigt die Straße langsam in der Ferne an. Auf einer Anhöhe bleibe ich stehen und sehe hinter der folgenden Senke die in wenigen hundert Metern steiler in die Berge führende Fahrbahn.

Und dann stehe ich auf dem 4655 m hohen AK-Baital-Pass einem der höchstgelegensten befahrbaren Pässe der Welt und fühle mich einfach nur gut.

Die Abfahrt wenig später holt mich dann allerdings schnell wieder aus meinen Glücksgefühlen, denn Schotter und Waschbrett rütteln nicht nur Mensch und Maschine, sondern auch meine Gedanken für ein paar Kilometer durcheinander. 

In Karakul am Karakul See finde ich ein Homestay, das den heutigen Tag nicht besser hätte abrunden können. Etwa 600 Einwohner zählt der Ort wie ich später vom etwas Englisch sprechenden Eigentümer erfahre und hat eine Schule in die die etwa 110 Kinder des Ortes bis zur 11. Klasse gehen können. Alle Gebäude befinden sich in einem ähnlichen Zustand wie die in Rangkul, liegen aber enger zusammen. An das gepflegt wirkende Gebäude des Homestay schließt sich auf einer Seite eine den Rest des Grundstücks umschließen Mauer an. Eines der wenigen Autos im Dorf steht vor dem Haus.
Die Frau des Hauses führt mich hinein und zeigt mir unter anderem mein Zimmer. Ich bin angenehm überrascht und sprachlos. Nach allen Unterkünften die ich bis dato hatte ist dies das authentischste, ursprünglichste und traditionellste Zimmer von allen. Farbenfrohe Teppiche auf dem Boden und an den Wänden. Ein niedriger Tisch und Sitz-/Liegematten drum herum. Ein einfacher Ofen in der Wand der den Nebenraum mitheizen kann. Im Vorraum zwei Waschbeckenschränkchen. Das Wasser kommt aus einem kleinen Behälter über dem Spiegel der mit der Hand befüllt werden muss. Es gibt kein fließendes Wasser und auch keine Dusche. Das Wasser wird von einem Brunnen mit einer großer Handpumpe auf dem Dorfplatz geholt. Die Toilette befindet sich hinter dem Ziegenstall am hinten Teil der Grundstücksmauer. Vom Komfort nach europäischem Standard ist man hier meilenweit entfernt und doch hat das ganze etwas Warmes und heimeliges.

Nach einem kleinen Rundgang durch den Ort werde ich vom auf dem Boden sitzenden Hausherrn in die Küche gebeten. Es ist ein flaches, eher gedrungenes Nebengebäude und etwa 4x5 m groß. Der unebene, scheinbar gestampfte Boden ist mit Teppichen ausgelegt. Im einfachen Ofen brennt ein Feuer, das den Raum angenehm erwärmt und das Essen darauf verbreitet einen Hunger machenden Duft. Ein kleines Schränkchen, eine kleine Sitzbank und ein Tischbrett mit einfachen Küchenutensilien an der Wand runden das insgesamt sehr einfache Interieur ab. 

Auf dem Boden hocken drei seiner 4 Töchter und machen Schulaufgaben. Ich setze mich zum Hausherrn der die Arbeiten seiner Töchter kontrolliert. Wenig später erscheint seine Frau mit dem 3 jährigen Sprössling. Zu siebt sitzen wir auf dem Boden und ich nehme für einen Augenblick Teil am Leben der Menschen die hier leben, ja leben müssen. Welch ein Unterschied zu Duschanbe. Für nichts auf der Welt möchte ich diesen Augenblick tauschen wollen.

Das Küchengebäude

Die Sonne scheint, aber es ist recht frisch als ich vor das Haus trete. Ich erhasche einen Blick in das Zimmer aus dem der Hausherr gerade kommt. Der Raum ist etwa so groß wie die Küche draußen. Auf dem Boden liegen unter ihren Decken weitere Familienmitglieder. Keine Privatsphäre, kein eigenes Zimmer für den Dreijährigen oder seiner Schwestern. Und ich schlief in einem fast dreimal so großen Raum allein. Ich nehme aus Tadschikistan mehr mit, als aus manch einem anderen Land das ich bereisen durfte. 

spielende Kinder in Karakul

Ich hatte mal kurz daran gedacht wie es wohl sein würde im Niemandsland festzusitzen. Das es passieren könnte, damit hatte ich allerdings nicht gerechnet.

Grenzübergang Tadschikistan

Die Grenzen zwischen Tadschikistan und Kirgisistan sind geschlossen. Es gibt auch keine Flugverbindungen zwischen beiden Ländern. Seit ein paar Wochen ist die Grenze am Pamir Highway jedoch für Touristen wieder geöffnet. Um nach Kirgisistan einreisen zu können muss man sich lediglich registrieren lassen. Anfangs per Email nur beim Tourismusministerium in Kirgisistan, seit kurzem nur noch bei Reiseagenturen. Dennoch schreibe ich zur Sicherheit eine Email ans Ministerium und nehme außerdem Kontakt mit einer Reise Agentur in Osh auf. Vor 5 Tagen bestätigte mir die Agentur, dass mein Name auf eine entsprechende Liste käme.

Nach einer 11 Kilometer langen Fahrt durchs Niemandsland zwischen Tadschikistan und Kirgisistan treffe ich kurz vor 12 Uhr an der geschlossenen kirgisischen Grenze ein und überreiche einem herannahenden Grenzpolizisten meinen Pass. Dann erfahre ich, dass mein Name, warum auch immer, nicht auf der Liste stehe. Nach einigem Hin und Her, allein schon aus Gründen der mangelnden Verständigung, erklärt mir etwas später ein anderer englisch sprechender Grenzer, dass man in Bishkek, der Hauptstadt Kirgisistans, anfragen und gegebenenfalls bei irgendeinem zuständigen Beamten eine Erlaubnis einholen werde. Das könne eine Stunde dauern, aber auch einen Tag. Wenn ich ein Zelt habe, solle ich es besser aufbauen. Da ich jedoch die Hoffnung hege vielleicht doch noch die Grenze passieren zu können warte ich erstmal ab und frage 2 Stunden später erneut nach.
Letztendlich bringt selbst eine Rückfrage bei der Reise Agentur nichts, denn da habe man angeblich alles notwendige getan. Ich erfahre allerdings, dass meine Unterlagen erst gestern in Bishkek eingegangen seien und vor morgen Mittag mit keiner Resonanz zu rechnen sei. Man füllt mir meine leere Wasserflasche und später am Abend werde ich sogar mit einer warmen Mahlzeit versorgt.

Ich gehe nicht davon aus, dass man mich nicht einreisen lässt, denn im Grunde passiert nichts anderes, als das, was schon längst hätte geschehen können. Es wird nur etwas dauern. Ich baue also mein Zelt am Grenzzaun auf und stelle mich auf eine kalte Nacht ein. Vorletzte Nacht in Murgab waren es 3 Grad und vorhin war das Schmelzwasser, das an einer Stelle über die Straße lief im Randbereich gefroren.


Es beginnt zu dämmen. Ich liege in meinem Zelt und warte mit leichtem Bangen ob der kommenden Temperaturen auf den Einbruch der Nacht. Da höre ich ein näherkommendes Motorengeräusch und gucke aus dem Zelt. Das Wohnmobil aus Deutschland, das am Nachmittag von Kirgisistan kommend die Grenze nach Tadschikistan überquert hatte ist zurück. Olga und Alex aus Düsseldorf mussten noch vor der tadschikischen Grenze wegen fahrzeugtechnischer Probleme wieder umkehren. Sie stellen sich neben mein Zelt und bei einem heißen Tee sitzen wir anschließend in ihrem warmen Wohnmobil noch etwas zusammen. Ich bekomme von ihnen eine warme Decke und so ohne groß frieren zu müssen durch die Nacht.

Es ist recht kühl als ich aus dem Zelt krieche. Dichte Wolken am Himmel. Ein paar wenige Regentropfen fallen. Ein heißer Kaffee und so langsam kommt auch wieder Leben in meine Gelenke. Falls sich mein Grenzübertritt verzögern sollte, werde ich die nächste Nacht nicht mehr im Zelt verbringen. Olga und Alex werden frühestens in 2 Tagen über die Grenze können und wollen die Zeit nutzen und mit ihrem mitgeführten Motorrad herumfahren. Ohne deren zusätzlicher Decke wäre ich jedoch aufgeschmissen. Dann fahre ich lieber zurück nach Karakul. Etwas später kommt ein Grenzer und teilt mir mit, dass ich mein Zelt abbauen und die Grenze passieren könne. Nach einem Blick zum Himmel deutet er an, dass es Schnee geben werde. Die Grenzformalitäten sind schnell abgewickelt und lachend meint der englisch sprechende Grenzpolizist "welcome in puplic". 24 Stunden nach meinem Eintreffen an der Grenze komme ich weiter. Am Nachmittag treffe ich in Osh ein, dem vorläufigen Ende meiner Reise.

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