Abschied

Bevor es wirklich Abschied nehmen heißt, nehmen wir noch ein paar Kilometer gemeinsam unter die Reifen.

Nachdem Heike nach ihrer Rückkehr nochmals mit dem Zoll Kontakt aufnehmen musste damit das Motorrad wieder freigegeben wird, sie wäre sonst bei einer Polizeikontrolle nicht weitergekommen, wollen wir erst zum Atatürk-Stausee, 1,5 mal größer als der Bodensee und dann weiter nach Harran das seinen Ursprung etwa 6200 v. Chr. hat. In Harran stehen bis 1980 noch bewohnte Bienenstockhäuser, die in ihrer Bauweise seit etwa 3000 Jahren unverändert sein sollen.

Etwa 80 km von Aleppo entfernt erreichen wir die Grenze zu Syrien. Ein kurzer Halt und schon nähert sich, vermutlich eher zufällig ein Militärfahrzeug. Wir sollen vorsichtig sein, da im Feld direkt hinter uns Minen seien. Der Atatürk Staudamm ist weiträumig abgesperrt und so bleibt nur der Blick auf den See.

Und dann sind Heike und Peter plötzlich in meinem Rückspiegel verschwunden. Ein überholender Pkw Fahrer gestikuliert wild mit beiden Händen einen Überschlag. Am Hinterrad von Peters Honda brachen zwei Speichen, eine dringt in den Schlauch ein. Der plötzliche Druckverlust ließ Peter an den Rand eines Sturzes bringen und hätte vermutlich eine Urkunde fürs Slicen verdient. Nachdem der Reifen geflickt ist, stoppt ein vorbeifahrender Lkw und der Fahrer bietet seine Druckluft an. Der Reifen hält jedoch keine Luft, denn beim Aufziehen des Mantels hatten wir offenbar den Schlauch durchstochen. Ein vorbeifahrender Autofahrer bringt Peter mit seinem. Hinterrad ins 20 km entfernte Zihib. Ich fahre hinterher, weil irgendwie muss er ja wieder zu seinem Moped zurück. Heike übernimmt derweil im Campingstuhl die Sicherung der Gefahrenstelle.


Der Fachmann ist deutlich schneller als wir es waren und wenig später geht es weiter, wollen wir ja noch nach Harran. Mitten auf der D400, einer Art Bundesstraße durchs Irgendwo verliert das Hinterrad erneut Luft, sind 2 weitere Speichen gebrochen. Stehen auf dem schmalen Randstreifen mit abfallender Böschung wird durch vorbeidonnernde Lkws aber auch dem starken Seitenwand zum Risiko,  Heike Moped wird dann auch eine Böe umgeworfen. In einer etwa 100 Meter eines allein stehenden einfachen Hauses befindlichen Einfahrt erneuter Flickversuch. Die Dämmerung setzt bereits ein und wir haben noch kein Nachtlager. Wir dürfen unsere Motorräder auf seinem Grundstück abstellen deutet uns der Hausbesitzer an und könnten, insbesondere Heike, in seinem kleinen Haus schlafen, in dem er mit Frau und zwei Kindern lebe, bauen dann aber lieber unsere Zelte im kleinen Garten mit Plumsklo auf. Wenig später steht ein Abendbrot auf dem wackeligen Gartentisch für uns bereit und wir nehmen dankbar auf den etwas schmuddeligen Plastikstühlen Platz. Morgen wird es dann erneut zu einer Werkstatt gehen. Ein Tag der besonderen Vielfalt an Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft. Ich kann mich nicht erinnern jemals so etwas erlebt zu haben.
Der Hausbesitzer lässt es sich nach einem ersten Kaffee vom Campingkocher dann nicht nehmen und fährt Peter in den nächsten Ort, wo festgestellt wird, dass der Schlauch offenbar nicht defekt ist.

Die Weiterfahrt nach Harran wird dann auch zur Testfahrt für Peter, der am nächsten Tag nach Tiflis aufbrechen will. Vor einem Bienenstockhaus-Ensemble scheinen wir fast genauso interessant zu sein wie die Häuser selbst, müssen wir unbedingt auf ein gemeinsames Familienfoto.

Dann jedoch ein kurzer Fluch von Heike und ein fast herzhaftes Lachen von Peter. Der Hinterreifen ist schon wieder platt. Mit Hilfe eines freundlichen Autofahrers kann Peter im Nachbarort einen Ersatzschlauch einziehen lassen. 

In der Nähe von Harran schlagen wir auf einen kleinen steilen Hügel unter der türkischen Nationalflagge unsere Zelte auf. Auch hier sind wir ganz offenbar geren gesehen haben zumindest einen Exotenstatus. 13 Kinder und Jugendliche erklimmen den Berg und beäugen uns und die Maschinen. Die Jungs lassen sich vor dem Motorrädern fotografieren, die Mädchen dürfen nicht. Zwei Erwachsene erscheinen, begrüßen uns und machen auf dem Hügel die Lampen an. Die Mädchen kommen später erneut und sind ganz offenbar von Heike fasziniert, werden ihr Blumen geschenkt, werden Peter und ich aber auch in ihre Gesprächsversuche und kleinen Spielereinen mit eingebunden.

Dann ist er da, der Tag des Abschiednehmens. Nach etlichen Kilometer Schotterpiste, einmal verzichten wir auf frisch ausgebrachten Schotter zu fahren und überqueren auf abenteuerliche Weise einen kleinen Bauernhof und dann einen Hügel, kommen wir wieder auf Asphalt und sagen Tschüss. Peter wird heute etwa 500 Kilometer zurücklegen, Heike und ich wollen nach Mardin, werden dort aber nicht ankommen.

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