"Spiel mir das Lied..." der Gastfreundschaft

Spanien. Auf südlicher Strecke an der Sierra Nevada entlang fahre ich, in höheren Lagen streckenweise über Schotterpisten, Richtung Nordosten meinem neuen Ziel Tabernas entgegen. Tabernas soll in der Wüste liegen. Nun kann ich mir das, keine 150 km entfernt, irgendwie noch gar nicht vorstellen, obwohl Spanien gerade im Sommer für große Hitze bekannt ist, doch dass sich die Landschaft dann so verändert, damit habe ich nicht gerechnet.
Eben noch grüne Täler, Bäume, eine relativ üppige Vegetation und vereinzelt kleinere Plantagen und dann fahre ich irgendwann um die nächste Kurve, um den nächsten Hügel herum und es kommt mir so vor als wenn ich eine Tür aufgemacht hätte und einen neuen Planeten betreten würde. Die Temperaturen steigen auf zeitweise deutlich über 30 Grad. Nur noch ganz vereinzelt ein Baum. Die Farbe der Landschaft verändert sich zusehend. War sie vorher noch relativ grün, mit hier und dort gelben Tupfern vom blühenden Ginster, verändert sie sich immer mehr hin zu einem Beige in den unterschiedlichsten Schattierungen. So sehen die Gegenden im Film, im Western aus.
Und tatsächlich entdeckte die Filmindustrie vor vielen Jahren die Gegend um Tabernas für sich. Viele bekannte Filme sind hier gedreht worden wie zum Beispiel "Spiel mir das Lied vom Tod", "der Schuh des Manitu" "2001: Odyssee im Weltraum" oder "Vier Fäuste für ein Halleluja". Namhafte Schauspieler und Regisseure haben hier gedreht. Insgesamt 14 Western Städte wurden zu diesem Zweck gebaut und bis auf drei sind heute alle wieder verfallen. Die drei verbliebenden, "Fort Bravo", "Western Leone" und "Mini Hollywood" werden heute auch touristisch genutzt. Große Parkplätze. weiträumige Absperrungen. Aber zur Zeit geschlossen. Als ich später noch am "Mini Hollywood" entlang fahre, stelle ich fest, dass es von allen drei Westernstädtchen die deutlich größere Anzahl an Häusern aufzuweisen hat.
"Mini Hollywood"
Ich habe von einer Alternative gelesen und zwar von der verfallenen Westernstadt "El Condor" aus dem Jahr 1970. Über eine Nebenstraße, auf der schon zentimeterhoch das Unkraut aus den Fugen der Betonplatten sprießt, erreiche ich ein geschlossenes halb verrostetes Eisentor an dem sich noch die Aufschrift "El Condor" erkennen lässt. Ich sehe aber nur die in der Ferne liegende Westernstadt "Western Leone". Jeder Schritt den Hang hinunter bringt mich aber auch dieser Stadt näher. Der Weg führt gegen Ende keine 200 Meter am Maschendrahtzaun der Umzäunung vorbei. Hinter der nächsten Kurve, dem nächsten kleineren Hügel tauchen dann die Überreste von "El Condor" auf. Ja, es ist nicht mehr viel übriggeblieben. Nur die massiveren Gebäude bzw. Gebäudeteile, ein paar Gebäudekulissen, Telefonmasten und der Galgen stehen noch. Vieles andere ist in sich zusammengefallen.
Auf dem Rückweg entschließe ich mich dann mir "Western Leone" aus der Nähe anzusehen. Beim Näherkommen fällt mir ein schiefhängendes Tor und beschädigter Maschendrahtzaun auf und lässt den Schluss zu, dass von dieser Seite schon Andere Zutritt gefunden haben. Die Stadt scheint zudem ohne Menschen. Ich krabbel durch ein größeres Loch und gelange etwa 50 Meter weiter an die Rückseite der "West Bank", einer Kulisse. Von dort zur Kirche mit Altar und Sitzbänken und von dort eigentlich zum gegenüberliegenden Saloon, denn die Tür ist geöffnet und wirkt einen gewissen Reiz auf mich aus. Doch plötzlich Rufe und ein junger Mann kommt auf mich zu. Wenige Meter hinter ihm eine Frau mittleren Alters, die seine Mutter sein könnte. Offenbar wohnt man hier. Ich brauche kein Spanisch zu können um zu wissen was er mir sagt und mir mit seinen Händen zeigt. Während ich mich abwende um den Rückweg anzutreten, frage ich ihn auf englisch, ob ich vielleicht noch ein Foto machen dürfte. Er versteht aber offenbar, ob er mich fotografieren soll und macht es tatsächlich. Seine "Mutter" ist zwar am lamentieren und zeigt in Richtung eines vor dem Gelände stehenden roten Pkw, das offenbar dem "Patron" gehört, aber ich bekomme trotzdem ein in dieser Situation überraschendes Foto.
"Fort Bravo" aus der Entfernung
Die Temperaturen steigen und es wird langsam Zeit mich auf den Weg nach Murcia zu machen. Vor mir liegen noch etwa 3 Stunden Fahrt durch die Ausläufer dieser unwirtlichen Gegend. Irgendwann komme ich durch ein Abbaugebiet für Marmor. Riesige Abraumhalden im Hintergrund soweit das Auge reicht und freiliegenden Flötze weißen Marmors, der an der Straße liegenden Steinbrüche. Etwas weiter in einer Senke dicht an dicht gedrängt die Industriegebäude unterschiedlichster Firmen zur Weiterverarbeitung des Marmors. Die Zerstörung der Landschaft erinnert mich an den Kohletagebau in Deutschland oder anderswo auf der Welt.
Anfangs lag Murcia nicht auf meiner Strecke. Barni, ein Blue Knight mit dem ich im letzten Jahr in der Ukraine unterwegs war, stellte dann einen Kontakt zu Virgil, einem Blue Knight in Murcia her. Ich nehme das Angebot bei ihm übernachten zu können gerne an, obwohl seine Frau seit einer kürzlichen OP, sehr viel Wert auf Einhaltung der Hygieneregeln legt. Während einer kleineren Pause lese ich in einer Nachricht von Virgil, dass seine Frau am Abend zuvor eine Schalentierallergie hatte und kurzzeitig ins Krankenhaus musste. Glücklicher Weise sei sie selber Ärztin und habe sich ein entsprechendes Mittel spritzen können. Die Wohnung seiner Schwiegereltern stünde leer und er und seine Frau hätten bereits den Kühlschrank gefüllt und die Wohnung entsprechend hergerichtet.
Als ich eintreffe begrüßt mich Virgil herzlich aber mit gebührendem Abstand und mit Handschuhen und Mundschutz. Auch in der Wohnung liegen Desinfektionsmittel, Mundschutz und Handschuhe bereit. Seine Frau lasse sich entschuldigen und auch er solle sich nicht zulange als nötig bei mir aufhalten, damit er das Infektionsrisiko nicht unnötig erhöhe. Manches braucht dann aber doch seine Zeit. Ich befinde mich in der Wohnung eines über 80 jährigen Paares, dass augenblicklich vom Spaziergang zurückkommen könnte. Nach dem Tod seines Schwiegervaters lebte seine Schwiegermutter hier, bis sie dann wegen fortschreitender Demenz ins Pflegeheim musste.
Ziemlich skurril das Ganze. Das Mobiliar dem Alter der Bewohner entsprechend, teilweise verblichene Fotos aus den 70ern und 80ern und bei mir das Gefühl irgendwo eingedrungen zu sein, aber ich war auch einfach zu kaputt um diese Situation noch ändern zu wollen. Außerdem stand im Kühlschrank gekühltes Bier für mich bereit. Spätestens am Montag werden Virgil und ich uns wiedersehen, dann bekommt mein Motorrad neue Reifen. Nachdem ich von Virgil eigentlich nur eine entsprechende Werkstatt habe wissen wollen, hatte er sich um alles gekümmert. Ich brauche nur noch hinfahren, aufziehen lassen und bezahlen. Gastfreundschaft und Service auf hohem Niveau. Alle Versuche mich irgendwie erkenntlich zu zeigen wurden abgeschmettert und selbst ein gemeinsames Essengehen scheiterte nicht an womöglich geschlossenen Restaurants oder an der Angst sich anstecken zu können, sondern dass es für ihn und seine Frau selbstverständlich sei. Das Essen im Kühlschrank war übrigens super lecker und selbst gemacht.
Während ich hier sitze und schreibe und darüber nachdenke wo ich schon überall übernachtet habe fällt mir auf, dass ich bei ein paar Übernachtungen schon Gedächtnislücken habe, die Unterkunft und Gastfreundschaft von Virgil und seiner Frau aber werden ein Meilenstein auf dieser Tour sein.
Es ist früher Abend und ich beschließe noch eine Runde spazieren zu gehen. Nach 10 Minuten erreiche ich den Rio Segura, auf der anderen Seite beginnt die Altstadt. Nach einiger Zeit sehe ich etwas entfernt zwischen den Häusern die Kathedrale auftauchen oder besser eine Turmspitze und wenig später stehe ich auf dem Vorplatz, dem Plaza Cardinal Belluga. In der Pizzeria gleich neben der Kathedrale muss ich warten bis ein Tisch frei wird und genieße anschließend das seit Beginn meiner Tour so noch nicht erlebte Treiben. Virgil hatte Recht. Die Stadt blüht erst am Abend auf. Irgendwann mache ich mich wieder auf und komme mir nach kurzer Zeit vor wie Hänsel aber ohne Gretel oder wie beim "Blindekuh" spielen. In den schmalen Gassen mit den mehrstöckigen Häusern einer südeuropäischen Altstadt habe ich schlicht weg die Orientierung verloren. Mein Inneres Navi, dass mich ohne überheblich klingen zu wollen, eigentlich noch nie im Stich gelassen hat, tat dies zum ersten Mal. Ob ich mir darüber Gedanken machen sollte werde ich mir in den nächsten Tagen beantworten.
Jetzt wäre es gut, wenn man in Spanien englisch oder ich spanisch sprechen würde. Die ersten Passanten schütteln den Kopf, ein Taxifahrer ebenfalls. So geht es eine Weile bis ich einen Streifenwagen anhalte. Der Beifahrer kann englisch und ich erkläre ihm mein Malheur. Mit Blaulicht aber ohne Horn, offenbar eine Art "Ich bin im Einsatz" Beleuchtung fahren wir dann in die Nähe meiner Unterkunft. Ich hätte einiges zu laufen gehabt, erst Recht, wenn ich vorher in die falsche Richtung gelaufen wäre. Morgen mache ich das nochmal, aber dann mit Stadtplan und Handy.
Morgen ist dann vergeben für shoppen. Ich brauche unbedingt eine neue Hose, denn Corona hat bei mir auf die Hüften geschlagen und abends ist dann noch der Reifenwechsel angesagt. Virgil holt mich ab, meint noch es könne nicht lange dauern und lässt es sich nehmen mich, für Deutsche ungewohnt, um 18.30 Uhr abzuholen. Nur ein paar Minuten meint der einzige Mechaniker, Chef und guter Bekannter von Virgil und dann sei ich dran und beendet gewissenhaft die Arbeit an einem anderen Motorrad. Nach fast 1,5 Stunden Wartezeit, wird mein Moped dann in die Werkstatt gerollt. Es werden die Reifen und weil nötig auch gleich das Motoröl gewechselt und auch sonst noch die eine oder andere Schraube festgedreht, dass ganze Motorrad letztendlich einer kleinen Wartung unterzogen. Kurz nach 22.30 Uhr !!!! ist alles erledigt. Gegenüber beim spanischen TÜV gehen auch gerade erst die Rollläden runter - also alles normal. Diese Werkstatt aber kann ich nur jedem empfehlen. Zwischenzeitlich kam ich mir vor wie in einem OP-Saal. Sauberkeit ganz oben und jede festgezogene Schraube wurde zwecks Selbstkontrolle mit einem Stift markiert. Das mag vielen bekannt vorkommen, aber ich fand es sehr gewissenhaft. Für 2,5 Stunden Arbeit zahlte ich dann 35 Euro.
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