Wartezeit

Tag 67 - Portugal: Manche warten auf ein besseres Leben, Andere auf den Tod. Manche warten darauf, dass die Zeit verstreichen möge, Andere darauf, mehr davon zu haben. Manche warten darauf, dass Herrchen zurückkommt, Andere darauf, dass etwas für sie abfallen möge. Und dann warten Fischer in ihren Fischerbooten auf einen Treckerfahrer, dass dieser endlich ihre Fischerboote an Land ziehe, damit sie ihren Fang löschen oder Kunden fangfrischen Fisch kaufen können. Und ein gestrandeter Tourist wartet zusammen mit ihnen, dass er Augenzeuge werden kann, wie das alles zusammenpasst.

Ich stehe auf meinem Balkon. Die Sonne scheint und über mir ein gering bewölkter Himmel. Ich blicke ins kurvenverheißende Hinterland, aber der dortige dunkle, wolkenverhangene Himmel rät mir von einer Motorradtour ab. In Richtung Meer geht mein Blick über die parallel zum Strand wie in einer Reihenhaussiedlung, in mehreren Reihen stehenden Holzhäuschen der Fischer. Vor den Häuschen, in denen die Fischer ihr Material aufbewahren und in der einen oder anderen auch ein Kühlschrank steht, liegen Fischerboote und unzählige Haufen von Fischnetzen, gestapelten Reusen oder Kisten und sonstigem Fischergut im Sand. Dahinter schimmert das blassblaue Meer. Durch diese Reihen hindurch sehe ich auf dem Wasser ein Fischerboot, das in einiger Entfernung zum Strand offenbar vor Anker gegangen ist. Über dem Boot steht ein Schwarm Möwen.

In den vergangenen Tagen hatte ich am Strand bereits Reifenspuren eines Treckers und die gezogenen Furchen von Bootsrümpfen im Sand gesehen, aber kein einziges mal das Anlanden der Fischerboote beobachten können. Als Jugendlicher hatte ich viele Wochenenden im Jahr an der Nordsee zugebracht und wusste, dass die Fischkutter mit der Flut aufs Meer hinaus und mit der nächsten Flut wieder zurück in den Hafen fuhren. Da die letzten Spuren schon etwas älter waren und sich das jeweilige Hochwasser von Tag zu Tag weiter nach hinten verschiebt, hatte ich aufgrund des derzeitigen Niedrigwasserstandes keine Hoffnung mehr die Fischerboote einmal beim Zurückkommen beobachten zu können. Ich sehe also meine Chance gekommen, schnappe mir meinen Fotoapparat und begebe mich zum Strand.

Kurze Zeit später erscheinen zwei weitere Fischerboote und legen sich ebenfalls auf Reede und zwei Hunde sich nicht unweit der an den Strand schlagenden Wellen in den Sand und blicken in Richtung der drei Boote.

Vor den kleinen Fischerhäuschen sitzen oder stehen Männer, einige von ihnen Fischer, was vereinzelt ihre Kleidung, aber auch ihre von der Sonne und vom Klima gegerbte Haut vermuten lässt und blicken aufs Meer, plaudern miteinander oder reparieren Netze. Weil nichts zu passieren scheint frage ich einen dieser Männer in englisch und werde wieder einmal von meinen eigenen Vorurteilen eingeholt. In Deutschland habe nicht selten Menschen erlebt, die Schwierigkeiten mit ihrer deutschen Muttersprache haben und hier in Portugal kann ich mich mit einem "einfachen" Fischer auf englisch unterhalten.

Ich erfahre von ihm nicht nur, dass die Boote unabhängig von der Tide zum Fischfang hinausfahren, sondern auch, dass die Fischer bereits um 5 Uhr in der Früh gestartet waren, ihre Netze ausgetauscht hatten und nun auf den Trecker warteten, damit dieser ihre Boote wieder an Land ziehe. Offenbar gibt es keinen, der den vor einer kleinen Lagerhalle direkt am Strand abgestellten Trecker fahren darf oder kann, also wartet man ab. 

Zwei Polizisten zu Pferde fordern eine Strandspaziergängerin zum Verlassen des Strandes auf. Ich hatte die Beiden kurz zuvor schon gesehen und halte mich deshalb mehr im nicht verbotenen Bereich der Fischer auf. Nachdem fast zwei Stunden vergangen sind kommt plötzlich Bewegung in die Anwesenden. Offenbar hat man den Treckerfahrer bemerkt, denn der Trecker steht noch immer an Ort und Stelle. Erst Augenblicke setzt er sich in Bewegung und fährt zum Wasser hinunter.

In der Reihenfolge in der sie vor Anker gegangen waren löst sich das erste Boot. Erst fährt es langsam und scheint abzuwarten, um dann schlagartig mit deutlich erhöhter Geschwindigkeit auf den Strand zuzufahren. Der Trecker hatte bereits gewendet und wartet  einige Meter vom Wasser entfernt. Das Fischerboot schießt auf den Strand zu, dann über den Sand und bleibt nur wenige Meter hinter dem Trecker stehen. Beide Fahrzeuge werden mit einem Drahtseil verbunden. Der Trecker fährt einige Meter den Strand hinauf und bleibt stehen. Eine heckseitige Stütze drückt sich in den Sand, das Seil spannt sich und über eine Winde wird das Boot bis an den Trecker herangezogen. Dann fährt der Trecker ein Stück weiter den Strand hinauf und zieht anschließend erneut das Boot zu sich heran.

Nach dem dritten Mal wird das Boot um 180 Grad herumgedreht und liegt schließlich in seiner Endposition. Dieser Vorgang wiederholt sich bei den beiden wartenden Booten, wobei ich feststelle, dass die Bootsführer, bevor sie Vollgas geben, offenbar einen bestimmten Wellengang abwarten. 

Was und wieviel das erste Boot gefangen hat kann ich nicht sehen, denn der Fischer hatte, offenbar als Schutz vor der Sonne, eine große Plane im Vorschiff ausgebreitet. Auf dem zweiten Fischerboot kann ich drei mit Fischen gefüllte Plastikkisten erkennen die gleich nach Erreichen der Endposition mit Eis bedeckt werden. Auf dem dritten Boot sehe ich nur einen größeren mit Fisch gefüllten Eimer. Für mich ist aber gerade dieses Boot besonders interessant, weil sich im Netz, das im Gegensatz zu den beiden vorherigen Booten noch nicht komplett im Bootsrumpf liegt, sondern ein kleiner Teil noch über der Bordwand hängt, ein kleines Sammelsurium von unterschiedlichen, in meinen Augen exotischen Fischsorten befindet. Gleich nachdem das Boot in seiner Endposition liegt beginnen zwei Fischer, die an Land gewartet hatten, die Fische vorsichtig aus dem Netz zu entfernen, wobei sie sorgsam darauf achten das Netz aber auch den Fischfang nicht zu zerstören. 

und auch an andere Stelle beginnt man sofort mit dem Sichten der Netze.

Es müssen nicht immer nur Kurven oder Felsen sein. Das Warten an diesem Vormittag hatte sich gelohnt. Es wurde aber auch Zeit in den Schatten zu kommen.

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