"Gratwanderungen"

Tag 47 + X - Portugal: Die Dauer der Einschränkungen in Bezug auf das Corona sind bis Ende April verlängert worden. Ich komme mir vor wie ein Mönch auf einer Klosterinsel. Ohne Kutte aber mit einer Muschi. Seit ein paar Tagen werde ich von einer Katze belagert.
Man möge mir daher nachsehen, dass ich mich noch einmal zum Thema Corona äußern möchte, ohne aber das letzte Wort haben zu wollen. Da ich noch nicht soweit bin, dass ich mich der Katze erkläre, bleibt mir zur Zeit nur der schriftliche Weg.
Manche sind vielleicht der Ansicht, dass ich mich hier in einer Art Urlaubsmodus befinde. Das stimmt natürlich. Irgendwie. Aber eben auch sehr eingeschränkt. Vom Grundsatz her hatte ich mich auf Einsamkeit und Schwierigkeiten eingestellt und nach wie vor gibt es ohne Frage schlechtere Orte an denen man "stranden" kann. Auch bin ich mir sicher, dass ich, weit weg von Zuhause, nicht unbedingt nachempfinden kann, was die Einschränkungen in Deutschland bedeuten.
Es haben mich in den letzten Wochen ein paar Ansichten erreicht, die, sagen wir mal, Unverständnis hinsichtlich meiner Entscheidung nicht umgehend nach Deutschland zurückzufahren ausdrückten, aber auch meine Ansichten wie ich mit Corona umgehe oder einschätze kritisch sehen. Nun sehe ich Kritik nicht unbedingt negativ, sondern verstehe Kritik im Allgemeinen konstruktiv. Daher sitze ich nun hier, höre zwischendurch Hörbücher die mir ein Bekannter geschickt hat, kann zwar kein deutsches Fernsehen empfangen, habe jetzt aber die Mediatheken für mich entdeckt obwohl vieles durch Geoblocking nicht zu sehen ist, höre über eine App Radio und habe viel Zeit zum Nachdenken. Die Kritik führte dazu, dass ich mich zu fragen begann, ob ich wirklich zu leichtfertig mit der "Corona-Bedrohung" umgehe.
Ich weiß die "Kritiker" eint, dass sie in Angst oder Sorge sind ich könnte mich hier, weit weg von Deutschland, anstecken und dann in große gesundheitliche Bedrängnis kommen. Ich habe das Bedürfnis ihnen mitzuteilen, dass ich ihre Fürsorge und Ängste sehr schätze, ja glücklich bin, dass man sich Gedanken macht.
Aber ich bin weder naiv oder sehe in Corvid-19 nur eine Erkältung oder eine normale Grippe. Wie viele andere hatte ich die Hoffnung gehabt, dass es sich wie eine Grippe herausstellen möge. Es scheint, als wenn ich da vielleicht nicht ganz richtig gelegen haben könnte. Trotzdem habe ich von Anfang an alle erforderlichen Hygienemaßnahmen eingehalten und halte Abstand ein. Ich hatte und habe dennoch meine eigene Einstellung zu Corona.
Als ich diese Tour antrat hat niemand ahnen können, dass es mal so sein würde wie jetzt. Es ist auch müßig darüber nachzudenken, ob ich vielleicht früher hätte zurückkommen sollen oder nicht. Vor allem zu einer Zeit, als in Deutschland noch "Corona-Partys" gefeiert worden waren. Ich bin ohne Frage enttäuscht, dass meine seit Monaten geplante Tour vermutlich abgebrochen und zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt werden muss und dabei spielen auch Gedanken darüber ein Rolle, ob ich sie überhaupt werde fortführen können. Ich werde aber meine Entscheidung, ob und wie lange ich hier an der Algarve oder wo auch immer ausharren werde, ganz allein mit mir und von mir abhängig machen. Ich habe diese Reise in vollem Bewusstsein angetreten, dass mir alles, aber auch alles passieren könnte. Ob ich aber in Iran oder Russland, unter völlig anderen, als in Westeuropa bekannten hygienischen oder sonstigen Verhältnissen plötzlich 3,4 oder 5 Wochen festsitzen würde oder jetzt, hier an der Algarve, macht dabei sicher einen großen Unterschied. Natürlich wäre die medizinische Versorgung im Falle eines Falles in Deutschland besser, aber dann hätte ich mich erst gar nicht auf den Weg machen dürfen.
Ich bin mir bewusst, dass das eine Gratwanderung bedeutet.
Eine Gratwanderung ganz anderer Art und zwar per pedes entlang der Felsküste der Algarve, brachte mich dann auf andere Gedanken. Beim Anblick dieser sagenhaften und zur Zeit auch unberührt wirkenden Natur bleibt einem regelmäßig die Spucke weg und dann bin ich wirklich froh hier gestrandet zu sein.
Da ich mittlerweile verstanden hatte, dass Hauptzufahrtswege gesperrt worden waren, suchte und fand ich Fußwege, die mich dennoch an die Küste führten. Es überraschte mich nicht, dass ich nicht allein war, wenn auch nur sehr vereinzelt. Ich hatte an der Rezeption erfahren, dass viele Portugiesen an der Algarve Ferienhäuser und -Wohnungen besäßen, es ihnen aber untersagt worden sei diese aufzusuchen. Polizeikontrollen würden die Einhaltung dieser Maßnahmen überprüfen. Darüber hinaus scheinen fast alle Hotels geschlossen zu sein. Wenige Pkws in den Seitenstraßen der Hotel- oder Ferienanlagen bestätigen zudem, dass zur Zeit nur sehr wenige Urlauber bzw. Bewohner anzutreffen sind.
Auf meiner Wanderung zwischen Carvoeiro und Portimao kam ich auch an Stränden vorbei, wobei ich die in einiger Entfernung gesperrten Zufahrtsstraßen überqueren musste. Nur selten konnte ich eine frische menschliche Fußspur im Sand erkennen. Da ich einerseits immer wieder auf einzelne Passanten, maximal Paare traf, mir der Wortlaut der Einschränkungen nur durch Gespräche und nachlesen in, wie ich feststellen musste, nicht mehr ganz aktuellen Hinweisen in der App des Auswärtigen Amtes bekannt waren, habe ich meine anfänglichen Bedenken und ein kleines, schlechtes Gewissen mittlerweile abgelegt. Natürlich möchte ich nicht als Deutscher gesehen werden, der sich allgemeinen Verhaltensmaßnahmen zuwidersetzt, aber ich nehme mir die angetroffenen Portugiesen zum Vorbild. Im Übrigen habe ich bis dato noch in keinster Form irgendein ablehnendes Verhalten mir gegenüber feststellen können. Als sei es die Krönung meines Verhaltens, hatten zwei Tage zuvor sogar zwei am Fahrbahnrand stehende Polizisten beim Vorbeifahren meinen Handgruß erwidert. Und ich meine Handgruß und kein falsch verstandenes Haltzeichen.
Am folgenden Tag fuhr ich nochmals zur "Ponte da Piedade". Einige Tage zuvor hatte ich dort nur zu einem kurzen Fotostopp gehalten. Diesmal fand ich einen schmalen Fußweg. In T-Shirt, Motorradjeans und Motorradstiefeln sah ich schon von weitem nicht unbedingt wie ein Wanderer aus. Gleich am Anfang kamen mir ein älteres Pärchen, eine Frau mit ihren beiden Hunden und ein junger Radfahrer grüßend entgegen. Wenig später war ich dann allein. An diesem Teil der Küste wurde die Wanderung aber zu einer kleinen Herausforderung. Meine "Wanderstiefel 3.0", in denen ich unerwartet gut unterwegs war und ich mir über kalte Füße sicher nie würde Gedanken machen müssen, fühlten sich manchmal leider aber auch so an, als trüge ich Skistiefel, was das Übersteigen größerer Höhenunterschiede manchmal schwierig gestaltete.
Nachdem der Weg mich hier und da in schwindelerregender Höhe an der Kante entlanggeführt hatte, endete dieser plötzlich an einer schroff abfallenden Felskante und am Zaun eines Privatgrundstücks. Angesichts des zurückgelegten, überwiegend ansteigenden Weges überlegte ich, ob es des nunmehr abfallenden und hart an der Kante entlangführenden Rückweges, nicht besser sei über den Zaun zu klettern. Mit gehörigem Respekt an der einen oder anderen Stelle wählte ich dann doch den gleichen Weg zurück und war irgendwie froh, dass nirgendwo eine Kamera gestanden hatte.
Seit 14 Tagen bin ich nun in der Anlage. Es wird Zeit für einen Tapetenwechsel. Meinen Weg möchte ich fortsetzen, wenn auch nicht so, wie ich vor ein paar Wochen noch geglaubt hatte. Ich überlege, mich ab Ostern im Bereich Faro "niederzulassen".
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