Im Land der Kriegsverbrecher !?

Grozny ist die Hauptstadt von Tschetschenien, dort soll meine erste Übernachtung auf russischem Boden stattfinden.
Mit einem letzten Blich auf den Kazbegi und die Dreifaltigkeitskirche starte ich frühzeitig Richtung Grenze.
Die Kontrolle auf georgischer Seite gestaltet sich relativ zügig, auf russischer Seite ist jedoch gerade Schichtwechsel. Alles steht für etwa eine Stunde still während nach und nach die in mehreren Abfertigungsreihen stehenden Container neu besetzt werden.
Danach keine 15 Minuten und ich muss nur noch durch den Zoll oder besser meinen Pass zusammen mit einer Deklaration abgeben und mit meinem mir abgenommenen Führerschein auf die Rückgabe warten.
Je eine kleine Gruppe steht bereits vor einem der beiden Container mit geschlossenen und verdunkelten Fenstern. Es ist ein gewisser Missmut unter den Wartenden zu spüren. Hier warten aus russischer Sicht nur Ausländer. Anders lässt sich die Art wie man behandelt nicht erklären. Herablassende Mimik und ein übler Ton von Frauen in Uniform. Da werden Wartende regelrecht zusammengebrüllt, nur weil sie sich erlaubt hatten ans Fenster zu klopfen.
Wenn die "Chefin" dieses kleinen Containerhäuschens das Fenster öffnet verdreht sie die Augen und herrscht die kleine Gruppe so lange an, bis ein 2-3 Abstand hergestellt ist. Ich habe mich mittlerweile bis zur Seite des Fensters vorgearbeitet und weiche lächelnd keinen Zoll, werde aber auch nicht angeherrscht.
Eine jüngere Frau kann hingegeben offenbar nur keifend kommunizieren. Eine Dritte mit aufgespritzten Lippen ist zumindest im Ton ein kleiner Lichtblick. Kann sie offenbar auch lächeln, doch turtelt sie außerhalb des Containers lieber mit Kollegen herum.
Wann immer sich das Fenster öffnet, ist es dem Zufall überlassen, ob die dann sich mehrfach dem Fenster entgegenstreckenden Unterlagen angenommen werden oder nicht.
Eine junge in Österreich wohnende Georgierin hatte mir beim Ausfüllen der Formulare geholfen, weil meine bereits vorab ausgefüllten nicht der aktuellen Form entsprachen. Irgendwann werden meine Unterlagen angenommen. Jetzt heißt es warten. Ich ziehe mich zurück um Platz zu machen für andere Hoffende. Die, die ihre Unterlagen zurückbekommen, werden ans Fenster zitiert und müssen vor laufender Body-Cam Fragen beantworten. Na das kann ja noch was werden.
Ich sehe zum x-ten mal auf die Uhr. Seit 4 1/2 Stunden hänge ich an diesem Checkpoint fest. Das einzig Positive ist, dass es in der Zwischenzeit ordentlich geregnet hatte und ich hier im Trockenen stehe.
Das Fenster geht auf. Eine der beiden "HUNDE", wie sie von einem Wartenden genannt werden, übersetzt mir ein Mann aus Aserbaidschan, der ein paar Monate in Deutschland gelebt hatte, hebt meinen Pass in die Höhe. Ich schiebe mich durch die Wartenden. Kein Keifen. Keine Kamera. Keine Fragen. Keine Body-Cam. Keine Mängel am ausgefüllten Formular. Ich bekomme meinen Pass, meinen Führerschein und Papiere mit vielen Stempeln zurück und darf fahren. Bis zur nächsten Kontrolle. Dort nimmt man mir einen der Zettel wieder ab.
Auf anraten eines unterwegs getroffenen jungen Mannes vermeide ich im grenznahen Bereich Seitenstraßen, da sie für Ausländer verboten seien und ich, wie ihm geschehen, mit einer Strafe rechnen müsse. Auf dem Weg nach Grozny begegnen mir Privat Pkws an deren Heck das großes "Z" zu sehen ist, die Befürwortung des Krieges der Russen gegen die Ukraiune und ich komme immer wieder an öffentlichen Gebäuden vorbei an denen das Konterfei von Ramsan Kadyrows, dem Präsidenten Tschetscheniens und Vasallen Putins im Ukraine Krieg und seines 2004 ermordeten Vaters Achmart Kadyrow prangen, auch schon mal in Kombination mit Putin selbst. Bilder von Ramsan Kadyrow sehe ich in Hotels oder Geschäften, wie in anderen Ländern der Pabst zu sehen ist. Im Hotel in Grozny steht auf dem Tisch in meinem Zimmer ein Schild auf dem zu lesen ist: "Welcome to the land of heros" womit vermutlich die durch Putin 2004 veranlasste Ernennung Kadyrows zum "Held der Russischen Förderation" hinweisen dürfte, der dann einige Jahre später noch der "Orden der Ehre" folgte.
Ich verzichte auf den Kauf einer Sim Karte, was ich noch bereuen werde, weil ich mit zwei oder drei Übernachtungen Russland so schnell wie möglich hinter mir lassen möchte und in den Hotels im Allgemeinen WiFi zur Verfügung steht. Über booking.com kann man zur Zeit nichts buchen und so versuche ich mein Glück, indem ich das vorher über Google ausgeguckte Hotel ansteuere. Ausgebucht. Auf Vorschlag an der Rezeption gebe ich ein anderes Hotel ein, jedoch erneut Fehlanzeige. Dann gebe ich nacheinander die verschiedenen Hotels in Google Maps ein und fahre sie ab. Beim Sechsten habe ich Erfolg. Ich dusche und nach dem Abendessen gehe ich noch über den riesigen Basar gleich hinter meinem Hotel. Tschetschenien gehört in einer großen Mehrheit dem sunnitischen Islam an und so komme ich mir fremdländischer vor als in der Türkei.
Nach einer guten Nacht in der 6. Etage meins Hotels mit Blick über Teile Groznys, mache ich mich nach einem ausgiebigen Frühstück wieder auf den Weg. Die Unterkunft ist laut Google etwa 360 km entfernt und die Art Schnellstraße verläuft überwiegend durch unbewohntes Gebiet. Es könnte eine schnelle Fahrt werden und ein entspanntes Ankommen in einem Hotel, das außerhalb Tschetschenien liegend auch noch andere Getränke als nur Softdrinks, Säfte und maximal ein alkoholfreies Bier im Angebot hat. Könnte.
Zuerst reißt erneut der Kupplungszug. Ich hatte diesem 0815 Ersatzteil allein schon wegen seiner Dicke keine lange Lebensdauer vorausgesagt und mir aus Deutschland einen Originalteil mitgebracht. Gleich neben einer Polizeikontrolle, quasi unter Polizeischutz, wechsle ich den Zug und kann danach unbehelligt meine Fahrt fortsetzen. Nur einmal werde ich an einer der vielen Kontrollstellen angehalten, aber auf mein "Do you speak english?" gleich wieder weitergeschickt.
Mein Schrauber Frank in Deutschland hatte mir geraten sowohl am Anfang und auch am Ende eines Kupplungszuges etwas Fett zu machen. Das hatte ich nun vergessen einzupacken und da der Zug nach kurzer Zeit, wenn auch um einiges dünner, an der gleichen Stelle gerissen war wie das Teil zuvor, scheint mir der Tipp nicht so weit hergeholt. In einer ersten Werkstatt kann man mir nicht helfen. 2 russische Harley Fahrer mit ihren vollgepackten Maschinen verstehen zwar was ich möchte, können mir aber auch nicht weiterhelfen.
An einer Tankstelle mit angeschlossener Werkstatt fragt mich der junge Mann zuerst, ob ich Tschetschene sei und hebt dabei lachend seine beiden leicht geballten Fäuste. Wir gehen durch sein Lager und finden einen Karton mit Tuben des Gesuchten. Geld will er nicht und die angebrochene Tube anschließend auch nicht wieder zurück. Es geht also auch ohne Übersetzungs-App.
Ich bin bereits etwa 45 Minuten unterwegs, als mir plötzlich in den Sinn kommt, dass ich einen der an der Grenze erhaltenen gestempelten Zettel im Hotel nicht zurückbekommen habe. Wahr oder nicht wahr und/oder wichtig bei der Ausreise? Ich will es nicht riskieren und fahre zurück nach Grozny. Ich finde das Hotel ohne Navi, denn in der Google Maps App ist offline bereits das Hotel für den Abend eingegeben, und bringe den ganzen Ablauf an der Rezeption durcheinander. Als bereits die Kameraaufzeichnungen des Vortages ausgewertet werden, fällt mir ein, dass mir der kleine Zettel bei der letzten Grenzkontrolle abgenommen worden war. Und dabei hätte ich schwören können, dass der Zettel vom jungen Mann an der Rezeption herausgenommen worden ist. 1,5 Stunden umsonst, die mir am Ende zwar fehlen werden, aber am weiteren Ablauf des Tages sowieso nicht mehr von Bedeutung sein werden.
Das Netz der Tankstellen ist wie mir scheint gut ausgebaut und so will ich meinen Tank nochmals leerfahren, um eine realistische Einschätzung der Reichweite zu haben, wenn ich die Weiten Kasachstans befahren werde. Ich hatte bereits in Georgien herausgefunden, dass mit Erreichen der Reserve bei moderater Fahrweise noch für 120 km Benzin im Tank ist. Da ich aber den Abano Pass gefahren war, war der Durchschnittsverbrauch nicht ansatzweise realistisch. Die Anzeige blinkt nun bereits seit 80 km. Noch maximal 40 km dann werde ich meinen Ersatzkanister leeren müssen.
Aus einer Ortschaft heraus nehme ich wieder Fahrt auf. Der Asphalt könnte etwas besser sein, aber wenigstens gibt es keine Schlaglöcher. Noch etwa 3 Stunden bis zum Hotel. Füße hoch und ein Bier vor Augen bin ich im Bruchteil einer Sekunde wieder in der Realität. Selbst beim Unfall in Armenien im letzten Jahr hatte ich gefühlt keinen solch schlagartigen Schweißausbruch und eine Erhöhung des Adrenalienausstoßes wie in diesem Augenblick, als mir nur noch Sekunden bleiben um das Motorrad zum Stillstand zu bekommen bevor mir der platte Vorderreifen den Lenker aus der Hand schlägt.
Da stehe ich erneut am Fahrbahnrand und die Lkws donnern an mir vorbei. Das Vorderrad ist schnell ausgebaut, der Schlauch aus dem Reifen gezogen und das kleine Loch gefunden. Das Flickzeug aus den Tiefen des Koffers gekramt und drauf. Die Weiterfahrt ist fast gesichert. Der Kleber in der noch ungeöffneten Tube hat aber offenbar bereits seinen Zenit überschritten. Ich öffne eine weitere Ersatztube, aber auch hier Fehlanzeige. Ein erster Pkw hält und der Fahrer bietet seine Hilfe an. Ich könne alles dort stehen und liegen lassen, in Tschetschenien sei man sicher, so oder so ähnlich scheint er sich auszudrücken und etwas widerstrebend steige ich mit meinem Schlauch in seinen Wagen. An der Tankstelle versteht man zwar das Problem, kann aber nur Autoreifen aufziehen, aber keine Reifen flicken. Ich möchte wieder zurück zu meinem Motorrad. Alles ist da wie verlassen. Ich bedanke mich bei meinem Helfer, als sich ein Motorrad nähert. Der Fahrer hält an, spricht nur wenige Worte Deutsch versteht aber mein Problem. Er setzt sich wieder auf sein Motorrad und kommt nach wenigen Minuten mit einer Tube Pattex zurück. Ich ahne bereits, dass auch das nichts werden wird. Danach steckt er den Schlauch in seinen Rucksack, fährt davon und kommt mit einem professionell geflickten Reifen nach etwa 30 Minuten zurück.
Gemeinsam bauen wir erst den Schlauch und dann das Rad wieder ein. Aufpumpen und dann dem Bier entgegen. Offenbar hält der Flicken nicht oder wir haben beim Einbau den Reifen beschädigt. Ali, wie ich mittlerweile erfahren habe, holt sein Handy heraus und ruft seinen Sohn an, der nach 15 Minuten eintrifft, das gesamte Rad in den Kofferraum legt, sich von seinem Vater 1000 Rubel geben lässt und davonfährt. Mein Geld will man nicht. Ali und ich setzen uns ins Gras und unterhalten uns soweit es möglich ist. Ranger sei er und zeigt mir Fotos von erlegten Wildschweinen und beim Fang von riesigen Fischen aus der Wolga.
Ali 1. von links
Vier Stunden nach meinem Plattfuss verabschieden wir uns nachdem sein Sohn das Rad zurückgebracht hatte und sitze ich wieder auf dem Motorrad. Das Hotel könnte ich noch im Hellen erreichen. Wenige Kilometer weiter ist der Vorderreifen erneut platt. Ich baue den Reifen aus, obwohl ich eigentlich gar nicht weiß wie ich den flicken soll, als wenig später Adam anhält. Ein junger Mann der schnell begreift, dass ich ein Problem mit dem Schlauch habe. Er nimmt das ganze Rad an sich und deutet mir an mich ins Gras zu setzen und zu warten. Mehrere Autos halten in der Zwischenzeit an und fragen ob sie helfen können oder zumindest verstehe ich das so. Sogar ein Pritschenwagen hält und fragt ob er das Motorrad mitnehmen solle. Nach einer Stunde, ich werde langsam unruhig ob mein bis dahin unbekannter Helfer sich aus dem Staub gemacht haben könnte, kommt er zurück, überreicht mir zuerst eine Flasche mit Granatapfelsaft und trinken wir gemeinsam unsere Flaschen aus. Danach holt er das Vorderrad aus dem Kofferraum und zusammen bauen wir es ein. Als ich ihm Geld geben will hebt er kurz seine rechte Faust und ich weiß, dass aller Widerstand zwecklos sein wird. Noch ein Abschiedsfoto und dann fahre ich weiter.
Nach wenigen hundert Metern halte ich an. Das Vorderrad "flattert". Luft ist genug drauf und so halte ich es für eine leichte Unwucht die bei höherer Geschwindigkeit abnimmt. Ein paar Kilometer traue ich dem Frieden nicht, doch der Reifen hält. Es wird Zeit zu tanken, das Risiko hier draußen in der Pampa liegen zu bleiben ist mir mittlerweile zu groß. Es ist dämmrig geworden und ich habe offenbar den Zeitpunkt überschritten, wo man außerhalb des baumlosen Niemandslandes noch sein Zelt aufschlagen könnte. Die Straße ist gut befahrbar und so entschließe ich mich weiterzufahren. Nur noch etwas weniger als 3 Stunden und etwa 250 km. Zwei Hotels am Wegesrand erwecken in mir nicht das Gefühl von Sicherheit. Danach wird die einspurige Straße von der Dunkelheit verschluckt, sind fast nur noch Lkws unterwegs und sind ihre Scheinwerfer die einzigen Lichter in der näheren Umgebung. Ich nähere mich einem Wohnmobil mit russischem Kennzeichen. Es fährt nach einem Überholvorgang in etwa meine Geschwindigkeit und so hänge ich mich auf den nächsten mehr als hundert Kilometern dahinter, bis ich 7 km vor meinem Hotel abbiegen muss. Um kurz vor Mitternacht, ich hatte mittlerweile eine neue Zeitzone erreicht, komme ich am Hotel an. Das Restaurant war bereits geschlossen, aber wenigstens bekomme ich das letzte Bier im Kühlschrank. Nach 13 Stunden kann ich endlich die Füße hochlegen und beschließe, allen vorherigen Überlegungen zum Trotz, eine Nacht länger zu bleiben und einen Ruhetag einzulegen.
Tags: Russland