Vashlovani National Park

Ich habe relativ gut geschlafen. Das Frühstück nehme ich im Bistro nebenan ein. Mein Ziel ist der "Vashlovani National Park" der auf einer Art Halbinsel liegt, die in südöstliche Richtung weit nach Aserbaidschan hineinragt.
Die natürliche, stark gewundene Grenze zwischen Georgien und Aserbaidschan bildet vom nördlichsten Punkt, bis zum südöstlichsten Teil dieser Halbinsel der Fluss Alasani, der auf der Seite von Aserbaidschan in einem Stausee endet.
Ich verlasse Rustavi und komme an mehreren, großzügig in der Gegend verteilten, zum Teil stark verfallenen Gebäuden der Großindustrie vorbei. Nach einigen Kilometern zweigt ein Schotterweg ab. Der Schotterweg hat es streckenweise in sich, verläuft aber dafür moderat ohne größere Höhenunterschiede. Ich komme an ein Gelände, dass mit einer Art Wall umgeben ist. Ein kleiner Abzweig führt zu einer Schranke, ein weiterer Abzweig zu einem Gebäude auf einem Hügel daneben. Vor der dortigen Schranke wende ich, während ich aus dem Augenwinkel bereits einen Soldaten mit Gewehr auf mich zukommen sehe.
Ich verlasse den Hügel ohne nennenswerte Folgen und sehe von oben herab, dass sich hinter dem Wall mehrere Reihen flacher Gebäude befinden, laut Google ein Hospital. Immer weiter geht es ins Niemandsland. Das Visier muss ich nach kurzer Zeit herunterklappen, sonst laufe ich Gefahr, dass mir eine der aufgescheuchten Heuschrecken in den Helm fliegen. Irgendwann stehe ich auf einer Kuppe und blicke in eine wunderschöne weite und hügelige Landschaft. Dann vernehme ich Motorengeräusche. Zwei Motorradfahrer aus Polen mit in Georgien geliehenen Enduros Yamaha XT 660 R kommen näher. Na dann bin ich wohl doch auf dem richtigen Weg. Kurzer Smalltalk dann geht es weiter.
Ich verlasse die Off Road Piste an einer gut asphaltierten Straße. Etwa 200 m entfernt, laut Karte in unmittelbarer Nähe zur Grenze nach Aserbaidschan, steht eine Art größerer Hochsitz. Auf einem Feldweg nähere ich mich dem Rand des Hochplateaus und habe eine mehr als 180 Grad Sicht auf ein weites Tal und die bereits auf Seiten Aserbaidschan liegende nächste Hochebene. Doch ich bin nicht allein. Zwei Soldaten schieben hier am Turm ihren Dienst. Alles in Ordnung meint einer gestikulierend, die Einzigen die hier Probleme bereiten seien die auf der anderen Seite.
Ich fahre weiter zum nicht weit entfernten Kloster Dawit Garedscha und dann weiter nach Dedoplistskaro, wo sich die Administration des Nationalparks befindet und bleibe zwei Nächte in der Pension "Mary Poppins".
Kloster
"Mary Poppins"
In der Nacht hat es geregnet. Mein Plan zu den "Takhti Tepha Schlammvulkanen" zu fahren scheint zu scheitern.
Ich gehe zum Büro für Angelegenheiten des Nationalparks um mich nach einem erforderlichen "Permit", einer Erlaubnis zum Befahren des Nationalparks zu erkundigen. Außerdem möchte ich gerne wissen, ob die Straße, von der ich wusste, dass es auf der ca. 50 km langen Strecke überwiegend hartes Off Road geben wird, aufgrund des Regens in der Nacht befahrbar sei. Anwesende Ranger können mich aber beruhigen.
Eine Mitarbeiterin erklärt mir, dass man nicht für alle Bereiche, das gelte auch für die Schlammvulkane, ein Permit benötige, da sie außerhalb des Nationalparks lägen. Allerdings sei es nicht erlaubt mit einem Motorrad oder Quad in den Nationalpark zu fahren. Auf Nachfrage erfahre ich, dass es nicht erlaubt sei die vorhandenen Wege zu verlassen und Motorrad- und Quadfahrer würden das leider tun.
Sie fragt mich, ob ich eine bestimmte Route fahren wolle, woraufhin ich ihr meine ausgearbeitete Route zeige. Einen Teil schließt sie aus und bemerkt, dass die Grenzpolizei die Zufahrten überwache, meint aber auch, dass die nicht immer da seien, dennoch könne sie mir natürlich keine Erlaubnis geben.
Nun gut denke ich, ob ich mit Permit oder ohne Permit oder weil es mit Motorrad verboten ist zurückgeschickt zu werden, macht also keinen Unterschied. Was möglich sein wird, werde ich sehen wenn ich hinkommen sollte.
Zum Schluss zeigt sie mir für die Fahrt zu den Schlammvulkanen eine Alternative, da der von mir gewählte Weg auf dem ersten Drittel der etwa 50 km überwiegend aus aufgebrochenem Asphalt bestünde.
Ich bereue bereits nach wenigen Kilometern diese Alternative gewählt zu haben. Ich weiche lieber Schlaglöchern aus, als diese von teilweise zwar trockenen doch mit manchmal breiten und auch tiefen Regenrinnen oder getrockneten tieferen Matschspuren durchzogenen Erdwege zu befahren. Mag es auch ein Eldorado für Hardcore Endurofahrer sein, ich bleibe da lieber auf der für mich sichereren Seite. Und dann stehe ich für mich gefühlt vor einem Abgrund, da der Erdweg steil nach unten führt.
Zwei erhobene Fahrspuren fallen zu den jeweiligen Flanken ab. Das dunkle Erdreich in den Senken, des in einer Kurve abwärtsführenden Weges, zeugt noch vom Regen in der Nacht zuvor. Ich möchte abbrechen, habe aber den Punkt verpasst um auf dem bereits abfallenden Teil wenden zu können. Ein Zurück ist jetzt nur noch möglich durch Ablegen und Drehen und dann wieder Hochheben des Motorrades. "Nun stell dich nicht so dann" gewinnt dann den inneren Zweikampf und ich schaffe es tatsächlich Schweiß gebadet hinunter. Eine weitere "Schikane" kann ich über einen weiten Umweg umfahren.
Während ich mittlerweile vom aufgezeigten Weg abgekommen bin, suche ich mitten in der Pampa am Wegesrand stehend auf dem Handy nach der nicht mehr zweifelsfrei erkennbaren weiteren Route, als mich ein mit Heuballen beladener LKW in zügigem Tempo überholt. Der scheint seinen Weg und vor allem eine Abkürzung zu kennen und ich folge ihm quer über riesige abgeerntete Felder während er bereits weit vorne hinter einem Hügel verschwindet. Irgendwann komme ich zur eigentlichen Straße mit dem "gebrochenen Asphalt" und beschließe das ausgelassene Stück auf dem Rückweg zu testen.
Ich fahre mutterseelenallein durch eine unglaublich faszinierende Landschaft, sofern ich es denn überhaupt schaffe mal einen Blick dafür zu haben und nicht dafür um zu gucken, ob ich nicht bei nächster Gelegenheit in einer schmal verlaufenden Spurrille lande oder in einem Schlagloch. Ich bin in meinem Leben noch keinen solchen Weg gefahren. Manchmal weiche ich auf die Ebene daneben aus, weil es einfacher ist durch Gestrüpp zu fahren als dem Weg zu folgen.
Als ich bei den Schlammvulkanen ankomme habe ich für die 50 km, für die Google doch immerhin 2 Stunden angesetzt hat, fast 3 Stunden gebraucht.
Irgendwie beginne ich dieses Erlebnis mit dem ersten Sprung vom 3 Meter Turm zu vergleichen. Hat man sich erstmal überwunden, dauert es auch nicht lange und man springt vom 5er. Für die Rückfahrt habe dann auch nur noch 2,5 Stunden gebraucht. Von einem 10 Meter würde ich aber auch heute noch nicht springen.
Am Ende des Weges werde ich mit einer traumhaften landschaftlichen Kulisse belohnt, die es mir fast unmöglich macht die Dimensionen dieser Aussicht zu begreifen und zu erfassen, geschweige denn es annähernd in Fotos festhalten zu können. Von den leicht blubbernden Mini Vulkanen gelingt es mir dann aber doch.
Eines ist mir bei dieser Fahrt auf jeden Fall bewusst geworden. Hatte ich in den letzten Wochen gelegentlich die 800er Adventure vom letzten Jahr vermisst, hat sich die 660er Ténéré auf dieser Fahrt mit Bravour geschlagen. Mit der BMW hätte ich vermutlich nicht diese Leichtigkeit und ein besseres, ja gefühlt sicheres Handling gehabt. Nach 5,5 Stunden Off Road für 30 Minuten Schlammvulkane bin ich jedenfalls angenehm kaputt und mehr als zufrieden von dieser Tour und freue mich auf ein Bier.
Ich besorge mir doch ein Permit, da ich im Nationalpark mein Zelt aufschlagen möchte. Hinsichtlich meines beabsichtigten Streckenverlaufs gibt es zwischen der jungen Frau im Office und der Grenzpolizei, wo ich mir nach Bezahlung von 10 Lari (3,50€) das eigentliche Permit abholen muss, dann doch unterschiedliche Aussagen hinsichtlich des Könnens und des Dürfens. Zumindest wie ich es verstanden haben will.
Nach einigen Kilometern komme ich nahe Zemo Kedi zum ehemaligen Militärflugplatz aus der Zeit der Sowjetunion, dem "Big Shaki". Weit über 30 Bunker bzw. Hangars sind über ein großes Areal verteilt. Standen dort früher Jets der Sowjets, werden sie heute eher zivil genutzt. Bauern lagern dort ihre Ernte ein und andere wiederum nutzen sie unter anderem als Unterstand für Feldarbeitsgeräte.
Dann geht es weiter Richtung Nationalpark. Ich folge der Kurviger App, da Google mal wieder nicht mehr kann. Auch ich stehe gelegentlich auf dem Schlauch, muss das alles aber ja auch nicht zu Fuß ausprobieren und fahre mal den einen Weg, dann wieder einen anderen. Irgendwann passen die ganzen Schotter- und Erdwege wieder mit der Streckenführung der App zusammen und ich befinde mich wieder in der Zivilisation. Weit ins Tal kann ich blicken. Am Horizont ein Bergmassiv das bereits zu Aserbaidschan gehört.
Ein kleiner Abstecher zu einem noch kleineren, vermeintlich unbesetzten Grenzübergang. Ich habe ein Foto noch nicht ganz im Kasten kommt ein Polizist auf einem Quad und erklärt mir, was ich schon weiß, dass die Grenze geschlossen sei.
Nach einer kurzen freundlichen Verabschiedung fahre ich zum Ort meiner Übernachtung direkt innerhalb einer fast 360 Grad Windung des Alasani. Über einen etwa 40 Meter breiten Wall, der zwei Windungen des Alasani von einander trennt, gelange ich auf diese Mini-Halbinsel. Ein älterer Mann kommt auf mich zu und möchte mein Permit sehen, hat dann aber nichts dagegen, dass ich mit dem Motorrad weiterfahre. Soweit Theorie und Wirklichkeit.
Jetzt sitze ich am dahinfließenden Fluss und langsam sinkender Temperatur und komme mehr und mehr in die Entspannungsphase.
Direkt am Grenzfluss, mit Blick auf das etwa 50 Meter entfernte Ufer der anderen, aserbaidschanischen Seite.
Es ist 20 Uhr. Die Sonne verschwindet langsam hinter den Bäumen, da schlägt mein kleiner Wachhund an, der sich zuvor ein paar Brocken Brot bei mir abgeholt hatte. Wenige Augenblicke später hält ein Pickup und zwei Grenzpolizisten steigen aus. Sie kontrollieren mein Permit und meinen Pass, dass ich hier mit dem Motorrad stehe wird nicht bemängelt. Wie gut, dass ich mir dann doch wenigstens noch ein Permit besorgt hatte.
Es war so warm, dass ich das Überdach meines Zeltes weggelassen hatte und eigentlich hätte es auch eine schöne ruhige Nacht werden können, hätte es mein kleiner Wachhund mit seinem "Bewachen" nicht zu genau genommen. Irgendwann mussten dann Ohrstöpsel ran.
Es ist 8 Uhr. Das letzte Stück Brot und ein kleiner Rest der Salami geht als Dank an meinen temporären kleinen Freund. Ich starte von meiner kleinen Insel, auf der ich fast komplett von der Grenze zu Aserbaidschans umgeben war in Richtung Osten. Um diese Zeit sollte noch keine Grenzpolizei unterwegs sein und so will ich mein Glück probieren. Das Permit ist für heute noch gültig, also rein in den Nationalpark. Irgendwann, meine Straßenkarte hat schon lange keinen Plan mehr, bin ich bei Google und meiner Navi App nur noch ein "Stand Punkt" im Nirwana, habe aber auch ich fast keinen Plan mehr. Meistens den Grenzfluss in Sichtweite folge ich einfach dem Erdweg und meiner Nase. Feldarbeiter weisen mir an einem Abzweig den Weg. Hügel rauf, Hügel runter so geht es eine ganze Weile dann stehe ich vor einem Gatter. Ein Schild weist darauf hin, dass ich vor dem geschützten Bereich stehe. Und nun? Ein älterer Mann aus einem nahen Farmhaus kommt, öffnet gestikulierend fragend, ob ich ein Permit habe, das Tor und deutet in die Richtung die ich nehmen müsse.
Er scheint etwas verwundert, als er mich nach knapp einer Stunde wiedersieht und ich ihm Handzeichen gebe, dass ich nicht weiterfahren werde. Nun fühle ich mich seit ein paar Tagen zusehends sicherer im Gelände, nehme Abfahrten, von denen ich bei der Rückfahrt überrascht bin wenn ich den Anstieg sehe. Ein Großteil ist dem Motorrad geschuldet, mit dem es einfach einfacher geht als mit der BMW und so stehe ich bei mancher Streckenherausforderung immer öfter auch mal auf dem 5 Meter Brett, als ich aber gefühlt auf dem 10 Meter-Turm stehe, drehe ich wieder um.
Da ich die letzten 3 Tage fast nur Off Road hatte, muss der Akku jetzt erstmal wieder etwas aufgeladen werden und so beziehe ich für die beiden nächsten Nächte für umgerechnet 14 € inkl. Frühstück je Nacht ein großzügiges Zimmer mitten in Sighnaghi, einem nicht ganz so ruhigem, auch etwas touristischem kleinen Bergdorf, von dem Google sagt es sei eines der kleinsten Städte Georgiens mit etwa 1500 Einwohnern.
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