"Liebesgrüße" aus Moskau

"Liebesgrüße" aus Moskau

Nein, ich bin nicht im Auftrag Ihrer Majestät in Moskau! Oder sollte ich?

5-streifig geht es hinein. Im Stau folge ich mit etwas Abstand einem Streifenwagen der sich mit Blaulicht einen Weg bahnt. „Gasse bilden“ gibt’s hier nicht und wäre aufgrund der Enge auch gar nicht möglich. Dann werden sowohl ich aber auch die Polizei von zwei Motorrädern sich irgendwie durchschlängelnd rechts und links überholt. Ja wenn das so ist…

Wenig später ahne ich warum in Russland Jeder Jedem Platz macht. Wenn man langsamer ist als der Andere. Ich schlängle mich vorsichtig durch den Stau damit ich mit den Koffern nirgends hängen bleibe. Ich höre einen Auspuff aufheulen. Ein Poser mitten im Stau. Na der hat es nötig. Beim dritten Mal sehe ich im Spiegel einen gestikulierenden Motorradfahrer hinter mir der, nachdem ich mich zwischen zwei Fahrzeuge gequetscht habe, unwirsch schimpfend an mir vorbeifährt.  

Zwei Kilometer vor meinem Ziel dann der Super-Gau. Das GPS hat mich verloren. Ich sehe zwar noch die blaue Route, aber ich kann nicht mehr navigieren. Meine Großmutter sagte früher einmal, dass man in einem solchen Fall da wieder hin müsse wo man sich verloren habe. Nun bin ich bereits im Center, der Verkehr wartet nicht auf mich. Ich versuche mich zu orientieren, komme aber gefühlt immer weiter weg. An einer Stelle wo Google geradeaus gefahren wäre geht es nur nach links oder rechts. Ich entscheide mich für rechts, es wäre egal gewesen, muss den Block weiträumig umfahren aber da wo es hätte weitergehen sollen geht es nicht weiter. Im Grunde könnte jetzt in meinem Handy auch eine Karte von Timbuktu angezeigt werden. Nichts scheint mehr zu passen. Mein tatsächlicher Standort wird definitiv woanders angezeigt. Das Routing ist eingefroren. Anhalten geht vorerst auch nicht. Einbahnstraßen mit zwei und drei Fahrspuren. Keine Parkstreifen. Dann hat mich das GPS wieder. Jetzt den Straßenverlauf einprägen so gut es geht. Irgendwo weiter hinten soll die Straße einen Bogen machen. Ist es überhaupt die Straße? Wo sind hier eigentlich Straßennamen angeschlagen. Ja es scheint der Bogen zu sein. Dem jetzt nur folgen und an der der zweiten oder ist es die dritte Straße rechts abbiegen. Und dann hat mich das GPS wieder verloren. Eine gedankliche Mischung aus " Ich hau hier ab" und "oder war es die vierte" entsteht. Muss ich die beiden kleinen Straßen eigentlich mitrechnen? Einen Taxifahrer fragen wäre im Grunde ein guter Gedanke, doch keiner steht irgendwo rum und wartet. Alle sind im Fluss. Und mal eben einen fragen geht ja auch nicht. Zudem arbeiten alle mit der Yandex-App, aber ohne Telefonnummer kann man nicht einmal eins bestellen. An einem Restaurant fahre ich bereits das zweite Mal vorbei. Dann fahre ich ja anscheinend wenigstens im Kreis. Die junge Bedienung spricht ein paar Brocken Englisch. Sie markiert nach längerem Suchen in meinem Handy das Hotel und routet als „Fußgänger“. Ich will auf „Auto“ umstellen, was sie aber nicht zulässt. 7 Minuten zu Fuß. Ich hätte es dennoch nie gefunden. Im Hotel sagt man mir dann, dass das GPS im gesamten Zentrum gesperrt sei.

Es ist ein kleines ruhiges Hotel und liegt in einer Art Innenhof umgeben von 2-4 stöckigen älteren Häusern aus den 19./20. Jahrhundert. Ich bocke das Motorrad auf den Hauptständer. Hab Ich mich verdreht? Mein rechtes Knie findet das jedenfalls nicht gut und wird deshalb den Rest des Tages nur noch "rummeckern". Mal sehn wie es morgen sein wird. Ich mache mich jedenfalls erst einmal auf den Weg. Es sind nur etwas mehr als 1000 Meter bis zum "Roten Platz". Ist schon ziemlich beeindruckend. Ich komme am Metropol vorbei. Einen Steinwurf vom Kreml entfernt. 5 Sterne. Davor fast nur dunkle Luxuswagen. Überhaupt sehe ich davon deutlich mehr in Moskau als jemals zuvor. Ich peile die Lage und sehe einen "Normalo" hineingehen. Vor dem Eingang zwei Pagen, dahinter eine Detektorschleuse, daneben ein Wachmann. Sie lassen mich, nur eines Blickes würdig, passieren.

Und dann stehe ich vor dem Restaurant oder ist es eine Bar. Ich gehe am verwaisten Stehpult, einem Servierwagen mit Sekt- und Weinflaschen unterschiedlicher Hersteller und an einem Bechstein-Flügel vorbei, in einer Ecke steht ein ausgestopfter Braunbär, und setze mich an einen der vielen noch freien Tische. Sofort eilt man mit in Leder eingebundenen Menükarten herbei. Das Ganze hier dürfte mein Budget dann doch etwas sehr überstrapazieren und so bestellte ich mir nur einen Cappuccino. 750 Rubel / 7,65€, wie ich erst mit der Rechnung erfahre, ist mir der lecker schmeckende Cappuccino und erst recht der Aufenthalt auf jeden Fall wert gewesen. In Venedig zahlt man für eine Cola mancherorts bereits fast das doppelte. Manchmal muss man eben Prioritäten setzen.

Basilius KathedraleUniversität Lenin MausoleumBolschoi-TheaterKreml

Es beginnt zu dämmern. Und dann, als betrete jemand einen Raum und schaltet das Licht ein, sind alle Gebäude rundherum mit einem Mal beleuchtet. 

Mal sehn was ich morgen unternehmen werde und erkundige mich schon mal nach Preisen. Eine Stunde mit dem Schiff auf der Moskwa 16 € und mit dem "Hop on and Hop off" Bus 43 €. Das zusammen habe ich die letzten Wochen in zwei Tagen für Essen, Trinken und Benzin bezahlt. Eine Tageskarte für die Metro kostet dagegen nur 3,80 €.

Das erste Auftreten am Morgen geht. Nach dem inneren Ring mit den meisten interessanten METRO Stationen und ein paar Rolltreppen und normale Treppen später muss ich aber befürchten, dass offenbar doch etwas im Knie kaputt gegangen sein könnte. Morgen geht es sowieso Richtung Grenze. Erinnerungen an einen Unfall 2018 in der Ukraine werden wach, doch diesmal fühlt es sich Gott sei Dank im wahrsten Sinn des Wortes nicht ganz so schlimm an.

Meinen letzten Abend sowohl in Moskau als auch in Russland verbringe ich bei untergehender Sonne in einem Straßenlokal. Noch einmal das Flair eines zur Zeit umstrittenen Landes atmen, den Menschen zusehen die keine Verantwortung tragen, die mich aber auch zu keiner Zeit haben spüren lassen, dass ich auf der anderen Seite stehen könnte. Es mag ungerecht klingen, aber haben nicht alle das Recht auf ein unbeschwerteres Leben?

Etwa 7 Stunden sind es morgen bis zur Grenze nach Lettland. Die Grenzkontrolle wird in Anbetracht sich zuspitzender Ereignisse länger dauern als noch vor ein paar Wochen aus Kasachstan oder der Mongolei kommend, aber es alternativlos. Und dann "nur" noch 2000 km bis nach Hause und der dritte und letzte Teil meiner Reise ist nach 16 Wochen und 24.000 km beendet.

Insgesamt sind es etwa 45.000 km und waren es 9 Monate. Ich freue mich auf Zuhause und auf mein gestern geborenes viertes Enkelkind.