Ich habe mir die Wüste Gobi irgendwie anders vorgestellt. Mehr Sand und nicht so grün. Mehr Sahara und nicht steinige Steppe. Vielleicht weiter Richtung Süden oder in der östlichen Gobi .
In Atwaicheer, von weitem schon die auffällig hässlichste Kleinstadt die ich bis dato in der Mongolei gesehen habe, biege ich Richtung Süden ab und lasse für die nächsten Tage den Asphalt hinter mir. Nach 80 Kilometern erreiche ich Bajangol. Im einzigen und einfachen, aber sauberen Hotel mit Restaurant bekomme ich für keine 20€ ein Doppelzimmer, ein kühles Bier und ein Abendessen.
Ein Mann drückt mir im Hotel im Vorbeigehen ein Bier in die Hand, grüßt und stößt mit mir an. Vor vier Tagen stehe ich am Straßenrand und ein Pkw hält an. Der Fahrer steigt aus, begrüßt mich per Handschlag, findet mein Motorrad toll, kann aber kein Englisch. Er reicht mir eine Gebäcktüte und ich greife rein. Auf einem Parkplatz überreicht mir ein Autofahrer mit einem Lächeln und auffordernden Nicken ein Netz lecker schmeckender kleiner Apfelsinen. Auf der Landstraße hupt hinter ein SUV und im Vorbeifahren reicht man mir einen Anschlusskabel für ein IPhone heraus, offenbar auch, weil auf der Verpackung eine kleine Deutschland Flagge abgebildet ist. Ein Autofahrer hilft mir mit 5 Liter Benzin und als ich Daumen und Zeigefinger gegeneinander reibe weicht sein Oberkörper ruckartig ein wenig nach hinten und er sagt fast schon entrüstet „No, that’s Mongolia“.
Unglaublich und im Nachhinein beschämend, dass man, zumindest in Deutschland, das mongolische Volk mit einer Erkrankung in Verbindung brachte, bzw. nach ihnen benannte. Unvergessen dabei auch nicht die in diesem Zusammenhang gemachten abfälligen Bemerkungen in Kindheitstagen. Verletzend, auch den Betroffenen gegenüber.
Es ist Anfang August und es regnet die dritte Nacht in Folge. Ich werde vom Donnern eines Gewitters und dem leichten Prasseln der Regentropfen geweckt und frage mich, ob ich nicht vielleicht schon ein wenig zu spät dran sein könnte und der kurze Herbst sich langsam anzukündigen scheint. Ich werde einen Monat später als geplant in Ulan Bator sein. Die Gedanken daran und an die noch vor mir liegenden Entfernungen lassen mich nicht wieder einschlafen. Allein vom Baikal-See nach Kasan sind es auf schnellster Strecke etwa 5200 km und dann wäre ich noch 800 km von Moskau entfernt. Das hieße etwa drei Wochen bis Moskau wenn ich den kürzesten Weg nach Deutschland wähle. Eine Pufferzone und einen Stopover in den interessanten Städten eingebaut. Es wird Mitte/Ende September, vielleicht sogar Anfang Oktober werden bis ich wieder in Deutschland sein werde. Ich liege wach und bekomme diese Gedanken nicht mehr aus dem Kopf. Draußen zieht derweil das Gewitter weiter, höre ich die Regentropfen. Wie der Weg wohl später sein wird?
Eine kurze Nacht hat einen längeren Tag zur Folge. Ich werde ihn nutzen, nutzen müssen. Ab sofort fürs Erste kein großes Rumgedaddel mehr. Kein hier und da mal einen Tag länger machen. Das habe ich vielleicht auch zu oft getan, hatte ich anfangs ja auch genug davon. Am Baikal-See werde ich aber nichts einkürzen, werde ich meinen letzten großen Stop haben, wenn alles klappt und nichts dazwischen kommt. Mein Visum läuft bis Ende Oktober. Gott sei Dank. Im Grunde Zeit genug, wobei ich mir dann aber wohl noch ein paar wärmere Sachen werde kaufen müssen.
Asa, der Mann der mir gestern Abend ein Bier in die Hand drückte, klopft an meine Zimmertür. Auch ein Early Bird. Mit Übersetzter App gelingt uns eine kleine Konversation. Er zeigt mir Fotos seiner Familie, von seinem Motorrad, Schneebilder bei minus 38 Grad und am 21. Juni !!! diesen Jahres von Ulan Bator, wo er wohnt, die Stadt tief verschneit. Er zuckt mit den Schultern und meint nur kurz „Mongolia“. Zum Abschied lässt er seine Telefonnummer zurück für den Fall, dass ich etwas benötigen könnte.
Es ist 8 Uhr. Die Wolkendecke schiebt sich langsam zur Seite. Es wird Zeit sich auf den Weg zu machen. Vor mir liegen heute 240 km Piste. Mein Ziel ist Bayanzag, die „Flaming Cliffs“ bei Bulgan, dahin wo man vor einiger Zeit ein Dinosaurier Ei und Dinosaurierskelette gefunden hat. Die Fahrspuren sind wie erwartet noch feucht und zuweilen rutschig dennoch komme ich relativ gut voran. Das Waschbrett nervt nach wie vor und wo es geht, da lasse ich es links liegen, verlasse ich ausgetretene und gehe neue Wege. Das geht auch eine Weile gut, bis mir ein entgegenkommender SUV Fahrer bestätigt, dass ich vom rechten Weg abgekommen sei. In solchen Fällen nützen keine kleinen Schritte, da muss ein größerer Schnitt gemacht werden. Quer durch die Pampa, mehr als einen Kilometer weiter, treffe ich wieder die richtige Bahn, bin ich wieder in der Spur.
Soweit zu den Lebensweisheiten und Sprüchen, doch manchmal treffen sie zu. Aber anders.
Bei „Ogiin Chiid“ handelt es sich um die Ruinen eines ehemaligen Klosters. Nach zwei Stunden und 75 km führt ein etwa 12 km langer Abzweig dorthin. Es ist 11 Uhr und ein Drittel meines Gesamtweges liegt bereits hinter mir, ich liege also gut in der Zeit. Aus den gedachten 60 Minuten werden dann aber knapp mehr als das doppelte. Die Strecke ist gegen Ende etwas für Offroader die weiches Sand-Split-Gemisch mögen. 45 Minuten für 14 km sagen im Grunde alles. Mehrmals kann ich mein Motorrad gerade noch abfangen und vor dem Umfallen bewahren, aber irgendwann passiert es dann eben doch. Die Ruinen sind eher rudimentär. Mitten in das Ensemble hat man in das hügelige Gelände kleinere unpassende Gebäude gesetzt. Ein kleines Museum z.B. hätte man etwas abgesetzt genauso gut hinsetzen können. Kurz gesagt, für mich im Nachhinein kein lohnendes Ziel. Einzig die Lage an einem nicht weit entfernten kleinen Fluss wäre es gewesen, käme man dorthin, hätten zwei Jurt-Camps nicht alles eingezäunt.
Später, ich bin schon länger wieder auf der Fahrt Richtung Süden, kommt ein etwa 50 km langer Streckenabschnitt auf dem ich zeitweise mit nahezu 70/75 km/h vorankomme. Ist das Zuckerbrot? Wie sieht dann die Peitsche aus?
Hätte ich gewusst was auf den letzten 60 km auf mich wartet, ich wäre den weiten Umweg über Ulan Bator auf Asphalt in den Süden gefahren. In Teilen wiederholt sich was ich auf dem Weg zu „Ogiin Chiid“ schon hatte, gefolgt von Waschbrett der fiesen Art. Waschbrett dessen teilweise mehr als 10 cm hohen „Wellen“ die Geschwindigkeit im wahrsten Sinn des Wortes schlagartig herausnehmen und Mensch und Maschine extrem durchrütteln. Später werde ich feststellen, dass zumindest eine Verschraubung der Sozia Fußrasten nicht mehr vorhanden ist.
Ich durchfahre einen größeren Bereich, der aussieht, als würde er während der Schneeschmelze Wasser führen, bei viel Regen aber zumindest noch eine riesige Matschfläche wäre. Es hatte geregnet. Nicht viel und so ist es auch nicht überall matschig aber dafür weich. Ich komme hier und da gerade so, ohne mich festzufahren, nach mehreren 100 Metern wieder auf festen Boden. Noch 25 km dann kann ich meine Beine hochlegen.
Es ist bereits 17 Uhr. Vor knapp 9 Stunden habe ich das Hotel verlassen. Etwa 230 km liegen hinter mir. Ich stehe erneut vor einem ausgetrockneten aber diesmal erkennbar sandigen Flussbett. Das fast senkrecht nach unten gehende „Ufer“ wo die Fahrspuren von SUV und Co im Flussbett zu erkennen sind ist mir nicht nur zu steil, versinke ich schon beim Hingucken in den aufgewühlten Spuren. Etwas abgesetzt ein flacheres Ufer, dafür aber eine längere Strecke hinüber. Pest oder Cholera. Ein paar Testschritte und ich entschließe mich es zu riskieren. Eine andere Möglichkeit gibt es auch nicht. Gepäcktasche runter und dann rein. Bis knapp über die Hälfte schaffe ich es bei heulendem Motor, doch dann sitze ich fest. Das Motorrad steht ohne Ständer, den könnte ich gar nicht mehr ausklappen, von allein.
In sengender Sonne lade ich alles ab. Die Innenverschraubungen der Kofferhalterungen sitzen fest und müssen mit der Rückseite meines Beils und einen Schraubendreher gelöst werden. Jetzt wäre ein hochwertiger Koffersatz einer BMW entschieden besser. Klick, klick, ab. Oder Softgepäck. Hätte hätte, wäre.
Mit paddelnden Füßen, so das ich das Hinterrad nicht nur entlasten, sondern das Motorrad auch etwas vorschieben kann erreiche ich mit ach und Krach das andere Ufer.
Jetzt „nur“ noch die Sachen aus der Mitte des Flusses und die Gepäcktasche vom anderen Ufer holen und dann kann ich weiter. Manchmal reist es sich eben doch besser mit leichtem Gepäck oder noch besser ohne Ballast. Gott sei Dank hat der Himmel ein Einsehen und schiebt ein paar wenige Wolken vor die Sonne. Nach einer Stunde steige ich mit leicht wackligen Beinen wieder auf. Meine Kraft ist am Ende. Selbst feste, sonst gut zu befahrene Fahrspuren nehme ich fast im Schneckentempo. Laut Google sind es noch 19 km, allerdings auf einer etwas entfernteren Spur, nach meiner Tourer App ist es etwas kürzer. Ich komme ich um einen kleinen Bergrücken und sehe ein Jurt-Camp. Es ist fast 19 Uhr.
Das Jurt-Camp der letzten Nacht war zwar der rettende Anker doch länger als nötig möchte ich nicht bleiben. Donnern weckt mich, gelegentlich fällt kurz leichter Regen und es wird im Laufe des Tages sogar noch mehr werden. Nach dem Frühstück packe ich meine Sachen und fahre weiter. Wenn Bayanzog die „Flaming Cliffs“, ich sehe sie bereits aus der Ferne, dann auch aus der Nähe bei etwas mehr Komfort und vielleicht funktionierendem Internet, denn der gestrige Weg war zwar meiner, aber er soll sich auch gelohnt haben.
Ich bin früh beim Frühstück. Der deutschsprachige Guide am Nachbartisch, mit dem ich mich gestern bereits kurz unterhalten habe, kommt zu mir. Es gibt zwei Alternativen hier wegzukommen, bzw drei. Von ersterer und laut Google eigentlich schnelleren rät er mir wegen umfangreicher Bauarbeiten und eines sehr großen sandigen Abschnittes ab. Die zweite zur Asphaltstraße führende Alternative hätte den Nachteil, dass ich dann auf der Asphaltstraße wegen einer massiven Überschwemmung aufgrund der starken Regenfälle in der vorletzten Nacht vermutlich nicht weiter käme.
Und die dritte wäre, dass um 9 Uhr ein Van nach „Khongoryn Els“ der riesigen Düne in der Wüste Gobi fahren werde. Ein POI den ich nach der Aktion von vor zwei Tagen eigentlich für mich gestrichen hatte und erstmal in die völlig entgegengesetzte Richtung führt. Ich beschließe dennoch es zu tun, denn etwas besseres kann mir im Grunde nicht passieren, da man genau wie ich nach Yolin-Am fahren werde. Nachdem der eine den andere Guide informiert hat geht es auch schon los. Ich hefte ich mich an deren Fersen. In den folgenden knapp 3,5 Stunden erhöht sich auf 150 Kilometer mein Offroad Level gefühlt um eine weitere Stufe. Um den Anschluss nicht zu verlieren muss ich nicht nur schneller fahren als ich es sonst allein fahrend getan hätte, sondern auch durch manch schlidderigen Untergrund. Im Grunde ähnlich der Strecke wie die Tage zuvor.
Gut, dass die drei Damen des Quintettes zwischendurch mal in die Botanik müssen und ich aufschließen kann. Es war zwar anstrengend hat im Nachhinein hat es aber irgendwie auch Spaß gemacht.
Ich übernachte in einem kleinen einfachen Jurt-Camp mit Blick auf die Düne. Andere Touristengruppen kommen während des Tages im Van und machen von dort geführte Ausritte auf dem Kamel. Ich sitze genug im Sattel und verzichte. Das erste Mal seid ich in der Wüste bin erlebe ich einen wolkenfreien, unglaublich klaren und intensiven Sternenhimmel mit der Milchstraße zum Greifen nah.
Nach dem Frühstück geht es 120 km durch die Wüste und dann auf der Asphaltstraße nach Yolin-Am, wegen der dort lebendenden. Geier auch Geierschlucht genannt. Die enge Schlucht befindet sich in einem Naturschutzgebiet. An einem Schlagbaum zahle umgerechnet 4 €.
Durch die Schlucht fliest im Sommer ein kleiner Bach. Jetzt wohl nur noch im Winter, früher sogar bis in den Sommer hinein, ist die Schlucht mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Geier sehe ich zwar nicht, auch nicht den hier vorkommenden Schneeleoparden oder das Altai-Schneehuhn, dafür aber Meerschweinchen ähnliche Pfeifhasen, Pikas, ein Mauerläuferpärchen mit ihrem rotem Unterfedern an den Flügeln und viele Touristen aus Südkorea. Eine halbstündige Wanderung zu einem schmalen Einschnitt den das Wasser über Jahrtausende hinweg in den Fels geschnitten hat und dann gehe ich wieder zurück.
Meinen letzten Poi vor Ulan Bator, Tsagaan Survarga gebe ich auf halben Weg auf. Zum Einen habe ich mich verfahren und lande nach einer 3/4 Stunde in der Nähe dreier Camps, der eigentliche POI ist aber noch etliche Kilometer entfernt, zum anderen habe ich einfach keine Lust mehr auf unbefestigte Wege. Mir in die Karten spielt diesmal der Himmel. Ich blicke zurück und sehe eine dünne breite Wolke wie eine dünne „Dampffahne“ auf mich zukommen und wenig später, bereits wieder auf der Rückfahrt, erscheint der Horizont tatsächlich als braue sich etwas zusammen. Zurück auf der Asphaltstraße muss ich an einer Mautstelle anhalten. Ein etwa 12-jähriges Mädchen öffnet mir bereits den Schlagbaum, als offenbar ihr Vater in lockerer Beachbekleidung hinter mir rufend auf sein Kartenlesegerät zeigt, das er in der Hand hält. Nachdem er meine 500 Tögrög entgegengenommen hat verlange ich ein Ticket. Er hingegen zeigt nur auf sein Kartenlesegerät. Ich fordere nochmals ein Ticket, woraufhin er mir die 500 zurückgibt. Ein Schelm wer Böses dabei denkt. Noch etwa 450 km bis Ulan Bator.