Georgien

An die hundert Lkw stehen an der Grenze zu Georgien, vier Pkws, ein Wohnmobil aus Deutschland und ein Motorrad. Meins.

Da der von mir bevorzugte Grenzübergang etwa 100 Kilometer weiter nördlich wegen Umbau geschlossen ist, staut es sich offenbar ein wenig vor der Grenze. Ich stell mein Motorrad ab und gehe zum Schalter "Passport" und komme dran, nachdem die kleine Reisegruppe vor mir abgearbeitet ist. Danach zum Nebenschalter mein Motorrad austragen lassen. Dann darf ich passieren und über einen großen Vorplatz bis zum letzten Schalter vorfahren. Aber schon nach wenigen Metern ist kein Durchkommen mehr. Jeder will nur raus. Dicht an dicht stehen die Lkw. Ich fahre über 3 gefühlt 20 cm hohe Kantsteine bis vor den besagten Schalter. Jetzt nur noch ein Lkw vor mir. Als dieser wegfährt, fahre ich auf Fingerzeig des Beamten vor den Schalter und habe Glück, dass der eigentlich zweite Lkw meine Koffer nicht touchiert. Nach 45 Minuten ist alles vorbei und ich in Georgien. Das Wohnmobil hat vermutlich noch Stunden warten müssen. Glaubte ich dann auf der türkischen Seite schon an die 100 Lkw gesehen zu haben, sind es auf georgischer Seite hunderte. Eine mehrere Kilometer lange LKW-Schlange. Außerhalb des nahen Grenzdorfes regelt die Polizei, damit es nicht innerhalb des Dorfes zum Stau kommt. Manche LKW Fahrer müssen hier Tage gestanden haben, scheinen hier zu leben, manche sterben hier vielleicht.

Schnell wird klar, dass Georgien so ganz anders ist als die Türkei. Keine orientalisch-asiatische Unruhe im Straßenverkehr, keine Hupkonzerte vor den Ampeln um die Handynutzer zu wecken. Keine Gesänge früh am Morgen bis spät am Abend, keine Minarette dafür wieder mehr Kirchen. Ein anderer Asphalt, wenn er denn vorhanden ist in zumindest besserer Qualität, zieht man mancherorts die Schlaglöcher ab. Ein insgesamt mehr westeuropäischeres Gesamtbild der Bevölkerung und gefühlt 25 % Rechtslenker. Ein Taxifahrer wird mir später erklären, dass japanische Autos lange Zeit deutlich günstiger waren, seit die Regierung aber die Steuern auf ausländische Autos erhöht habe, lohne es sich nicht mehr.

In ländlichen oder Randbezirken der Städte gibt es aber auch eine scheinbar andere Form der Armut. Gab es in der Türkei mehr Herrenfrisöre als Läden in denen man Alkohol kaufen konnte, so ist es in Georgien deutlich umgekehrt, was sich teilweise auch an den Menschen ablesen lässt. Der Taxifahrer an der Grenze zu Abchasien, mit dem ich ein paar Brocken Deutsch wechselte, roch erkennbar nach Alkohol. Vielerorts ist es unverkennbar, dass seit Anfang der 1990er Jahre, dem Zusammenbruch der UDSSR, es augenscheinlich in vielen Bereichen bergab gegangen ist. Viele Straßen sind in einem ruinösen Zustand, Wohn- und auch sonstige Gebäude dem Verfall überlassen. Es entstehen zwar hier und da neue Gebäude, wird in den Straßenbau investiert. Aber manchmal scheint das Geld für ein paar Kilometer zu reichen, manchmal nur für ein paar hundert Meter. Dafür kostet 1 Liter Normalbenzin umgerechnet etwa 1,05 Euro, ein Glas Bier aber schon wieder 2-3 Euro, knacken, je nach Lage, günstige Hotelübernachtungen schon mal die 20 Euro-Grenze. 

Frau holt ihr Bargeld aus dem Strumpf und zählt 

Vardzia, eine Höhlenstadt, ist mein erstes Ziel und wäre sicher komfortabel in großem Bogen auf gut asphaltierter Straße erreichbar, aber wer will das schon. Dann stehe ich am Abgrund. Ich sehe Vardzia auf der anderen Seite des Canyons und weiß, dass ich da runter muss. Mehrere Kilometer auf Erdstraße garniert zeitweilig mit Schotter geht es Kurve um Kurve nach unten. Schweiß gebadet stehe ich dann endlich vor dem Ticketcenter. Mist. Hab ja noch keine Georgischen Lai. Im Restaurant wechselt man mir 20 Euro zum fairen Kurs und dann ab. Sehenswert. Nicht nur mein schleppender Aufstieg unter der Mittagssonne hinauf zur Höhlenstadt, sondern Vardzia selbst. Schon irre, was man da so in den Fels gehauen hatte, inklusive kompletter Kirche. Die Anfahrt und die Besichtigung haben sich vollends gelohnt. "Welcome to Georgia" wie der Grenzbeamten noch sagte und ich danke ihm schon jetzt.

In Achelziche werde ich übernachten, eine Handy Karte kaufen, Georgische Lai besorgen und der Burg einen Besuch abstatten. Meine Unterkunft ist nur wenige Meter unterhalb davon.

Mein eigentlicher Plan über den Zekari-Pass nach Kutaisi zu fahren scheitert, da der Pass winterbedingt noch gesperrt ist. Auf halber Strecke werde ich von Rangern angehalten und muss umkehren. Einer polnischen 4WD-Gruppe ergeht es ebenso. So bleibt mir nur der Zeit raubende Umweg auf uninteressanten Straßen. Altstadtnah gelegen erreiche ich meine Unterkunft ohne Frühstück in Kutaisi, der zweitgrößten Stadt Georgiens.

Nach einem Kaffee, eine Frühstückspause werde ich erst später einlegen, fahre ich über Zugdidi zur Grenze zu Abchasien, das sich 1994 zur Republik erklärte und seither als Protektorat Russlands gilt. Nur Grenzgängern mit entsprechenden Papieren ist es erlaubt das Niemandsland zu betreten und so komme ich nicht an die Brücke, die über den Enguri geht und in deren Mitte die Grenze verläuft.

Grenze zu Abchasien

Wenig später werde ich durch die Sirene eines Polizeifahrzeuges hinter mir gestoppt. Ich wähne mich wieder einmal in kritischem Grenzbereich und werde von den Beamten auch freundlich darauf hingewiesen, dass die Grenze nicht weit sei, es in der Gegend gefährliche Menschen gäbe und die Hauptstraße ein paar hundert Meter weiter ins Landesinnere doch sowieso viel besser sei als dieser Schotterweg. Ich erkläre ihnen, dass die Straße absolut kein Hinderungsgrund sei und so scheint es auch der eigentliche Hauptgrund und das Interesse an mir im Allgemeinen zu sein, dass zum Anhalten führte. Wenig später holt der Leutnant sein Messer heraus, lässt sich von seinem Kollegen beide Ärmelabzeichen vom Hemd trennen und wir tauschen.

Am Enguri etwas unterhalb der Staumauer des "Enguri Arch Damm" schlage ich wenig später mein Zelt auf. Es dämmert bereits als ein Pärchen vorbeikommt. ER stellt SIE mir als seine Verlobte vor. Allein ich glaube es nicht. Eine halbe Stunde später verlassen sie mit einem Auto diesen verschwiegen Platz. 

Die Nacht wird unruhig. Um 3 Uhr stehe ich auf und zurre das Zelt fest. Wolkenloser, mit Sternen übersäter Himmel. Ein Paar grüne leuchtende Punkte bewegen sich etwa 5 Meter von mir entfernt Richtung Fluss. Vermutlich ein streunender Hund. Mit Stöpseln in den Ohren kann ich die Geräusche dieser windigen Nacht zwar reduzieren, das Bild der beiden leuchtenden Augen begleitet mich aber noch etwas. 

Es ist diesig als ich das Zelt wieder abbaue. Ein paar Regentropfen fallen. Die Straße entlang des Stausee und weiter am Enguri Richtung Mestia ist abwechslungsreich, die fehlende Sonne lässt aber alles in einer grau-grünen Farbmischung erscheinen.

Eine von vielen Gedenkstätten abgestürzter Autofahrer

Auf dem Weg nach Mestia kommen mir aber mehr Motorräder entgegen, als in den 5 Wochen Türkei. Mestia selbst mit seinen berühmten Wehrtürmen ist mir zu touristisch, daher drehe nur eine Runde durch den Ort, denn mein eigentliches Ziel ist Uschguli. Die letzten 10 der insgesamt etwa 40 Kilometer bis Uschguli geht es über Schotterpiste. Eine abenteuerliche Strecke, die mit einem normalen Pkw schwerlich zu schaffen wäre. Uschguli gilt als das höchstgelegenste, ganzjährig bewohnte Dorf Europas und ist nur wenige Wochen im Jahr, ansonsten durch Schnee oder sonst irgendwie unpassierbarer Straße nicht erreichbar. Das Dorf gilt als arm. In Uschguli  möchte ich übernachten, denn einerseits hoffe ich am nächsten Morgen auf einen blauen Himmel in dieser abgeschiedenen Ecke der Welt, andererseits, weil ich hoffe, dass  der Zagari-Pass passierbar sein wird. Leider bin ich dafür offenbar noch zu früh dran, aber in etwa 10 Tagen, erklärt man mir, wäre es eventuell möglich. 

Es ist schwer den Eindruck zu beschreiben den das Dorf auf mich macht, denn eine allgegenwärtig erkennbare Armut drückt es nur vage aus. In meiner Unterkunft muss ich alle meine bisherigen Vorstellungen von gewissen Standards über Bord werfen, habe ich mich darauf bereits aber eingestellt. Das kleine Zimmer und die Bettwäsche sind sauber, das Interieur einfach. Mein Abendessen und Frühstück nehme ich im Esszimmer ein. Aus westeuropäischer Sicht würde man sagen "total abgerockt", aber es erinnert mich auch an die Einfachheit, die ich als Jugendlicher in Sommerau, einem Dorf im Spessart, erlebte. Ich fühle mich jedenfalls nicht unwohl und dazu trägt die Freundlichkeit meiner Gastgeber bei. Die 14/15 jährige, englisch sprechende Tochter lebe in Tbilisi (Tiflis) und sei nur in den Ferien Zuhause erfahre ich von ihr. Ein Gang durch den, zum UNESCO-Welterbe zählenden Ort mit seinen vielen Wehrtürmen macht mir bewusst wie luxuriös wir in Deutschland, eigentlich im gesamten Westeuropa leben. Ich komme mir mit meiner zwar gebrauchten, mittlerweile mehr als 85.000 km gelaufenen BMW irgendwie fehl am Platze vor. Immer wiederkehrende Fragen nach dem Wert eines solchen Motorrades versuche ich auszuweichen, wissend, dass ich für diese Menschen so etwas wie ein Krösus sein muss, auch wenn man hier bestimmt schon höherwertigere BMWs gesehen hat. Trotzdem versuche ich mich davon nicht leiten zu lassen, sondern vom Flair, den dieser Ort ohne Zweifel ausstrahlt. Durch schmale, mehr als holprige Gassen in denen Kuhfladen liegen und Wasser sich von den nahen Bergen seinen Weg sucht, gehe ich an verrottenden Gebäuden vorbei, finden eine Handvoll Kühe ihren Weg zurück zum Stall, um sich nach dem Melken anschließend wieder durch die eigentlich nicht befahrbaren Gassen auf den Weg zu Fressbaren machen. Außen Mittelalter pur, innen mit fließend Wasser und Toilettenspülung, wäre eine annähernd treffliche Umschreibung. 

Nachbarn winken mich heran. Meine Gastgeberin deutet an, dass ich wohl auf ein Getränk eingeladen werde. Ich gehe hinüber, merke aber schnell, dass man mir einige Promille voraus ist. Der junge, etwas englisch sprechende Mann zeigt sich dann etwas später auch ziemlich stolz, dass er 9 Liter Wein am Tag trinke. Ich glaube ihm. Möglicherweise ein Einzelfall, aber was soll man hier auch sonst machen. Meine Gastgeber sind jedoch freundlich zurückhaltend und geben was sie können. Sowohl das Abendessen als auch das Frühstück entsprechen eher 4 Personen als für eine. 

Ich schlafe gut in dieser abgeschiedenen Welt. Ein paar Hunde bellen kurz, aber ansonsten ist es ruhig, ja fast totenstill. Ich möchte, entgegen teils unterschiedlicher Aussagen einzelner Dorfbewohner, versuchen den Zagari-Pass zu erreichen und starte gleich nach dem Frühstück. Nach 5 Kilometern, etwa 2 vor dem Pass komme ich dann nicht mehr weiter. Die Straße ist verschüttet. Matsch und Schnee machen eine Weiterfahrt absolut unmöglich.

Ich kehre um, esse in Mestia zu Mittag, tanke, besorge mir Bargeld und fahre zurück nach Kutaisi. Die beiden Damen aus der Pension vor 3 Tagen sind freudig überrascht mich wiederzusehen und so bekomme ich auch gleich einen Rabatt. Den Abend lasse ich mit einer Fahrt in der Seilbahn zum gegenüberliegenden Hausberg inklusive kleinem, aber dafür an einem Samstag sehr gut gefüllten "Vergnügungsparks" und anschließendem Bier bei live Musik ausklingen.

Ich bin früh am Okatse Canyon und das ist auch gut so., denn es ist noch relativ wenig los, denke ich anfangs sogar die falsche Route gewählt zu haben. Am Ticket Center löse ich für 17, 25 Lari eine Karte. Ich erfahre, wie bereits zuvor von einem Taxifahrer, der mir, da es eine ziemlich anspruchsvolle Strecke und nicht mit der in Uschguli zu vergleichen sei, angeboten hatte mich für 120 Lari zu fahren, dass die Gesamtstrecke etwa 7 km betrage, 3 km davon allein für den Hinweg zum Eingang des Canyon und die Dauer der gesamten Strecke 2-3 Stunden betrage und nutze deshalb das Angebot des Taxifahrers, nachdem ich ihn auf 90 Lari heruntergehandelt habe. Gut investierte Geld, denn die Idee die Strecke selbst zu fahren, hätte ich nach wenigen Metern bereits bereut. Uschguli war dagegen ein Klacks. Ab Eingang geht es auf einem, über dem Abgrund angebrachten Steg entlang mit freier Sicht auch nach unten. Hinter mir eine Frau, schon etwas blass um die Nase, die sich am Geländer entlanghangelt. Nach etwa 25 Minuten erreiche ich die über der Schlucht schwebende Plattform. Fotosession und wieder zurück zum Eingang, der Taxifahrer wartet bereits.

Model der gesamten Steganlage

Wie bereits auf dem Hinweg fahre ich auch auf dem Rückweg durch Tskaltubo, das bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion ein bedeutender Kurort war, seit damals aber dem Verfall ausgesetzt ist. Es scheint wieder gebaut zu werden, doch überall sind die ehemals mondänen, aber zum Teil stark verfallenen Sanatorien und Badehäuser zu sehen. In manchen wohnen tatsächlich Menschen. Wir man mit erzählt offenbar Georgier aus Abchasien die nach Ausrufen der Republik seinerzeit flüchten mussten bzw ausgebürgert worden sind. 

Einen ähnlichen Verfall finde ich in Tschiatura vor, nur dass es sich um eine Stadt des Bergbaus handelt in dem aber noch deutlich Spuren einer stalinistischen Wohnarchitektur und entsprechende Bauten und technische Einrichtungen des Bergbaus zu erkennen sind. Der MDR widmete unter dem Titel "Stalin's schwebende Metallsärge" einem dieser Überbleibsel, den Seilbahnen. Mittlerweile außer Betrieb genommen und durch moderne Anlagen ersezt, bringen sie noch heute die Menschen an die umliegenden, an steilen Berghängen gelegene Stationen. 

Relikt aus Sowjetzeit: "Stalin´s schwebende Metallsärge"

Fußballstadion

Am späten Nachmittag treffe ich im Hotel in Tbilisi, Tiflis ein, wo Peter seit gestern wieder eingetroffen ist. Mein Motorrad braucht dringend etwas Pflege, einen neuen Vorderreifen, ein neues Lenkkopflager und überhaupt mal einen Service-check. Da es in Georgien aufgrund Corona zu Lieferengpässen gekommen ist, hat Peter mir von seinem Kurztripp nach Deutschland einen Reifen mitgebracht. 2 oder 3 Tage Tiflis werden mir, trotz der Hektik in dieser Stadt, ganz gut tun. 

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