Der hohe Norden

Tag 193 ff - Norwegen: Es gibt Meerschweinchen und es gibt Meerkatzen. Gibt es eigentlich auch Meerschafe? Ich meine welche gesehen zu haben.
Ich bin in Kirkenes, wo ich, bei minus 14 Grad, im März letzten Jahres schon mal mit dem Postschiff war. Diesmal sind es allerdings plus 14 Grad. Nach einem frühmorgendlichen Bummel durch Kirkenes habe ich schnell einen Eindruck von der überschaubaren Stadt bekommen.
Skoltefossen
Jetzt ist es Mittag und damit wäre noch ausreichend Zeit zum nordöstlichen Zipfel von Norwegen zu fahren, an die norwegisch-russische Grenze nach "Grense Jacobselv", wo der Jacobself, Grenzflusses zwischen Russland und Norwegen, in die Barentssee mündet. Die Strecke ist 60 km lang, bei den letzten 10 km handelt es sich allerdings um eine Erde-Schotter-Schlaglochpiste. Es mag daran liegen, dass ich noch nie richtig in Norwegen war und mir die Landschaft fremd ist, denn ich finde die Gegend einfach nur unglaublich. Ich muss mich ständig zwingen nicht immer anzuhalten um zu fotografieren. Die schmale Straße windet sich in teils weiten Kurven durch eine hügelige Landschaft und um immer wieder auftauchende kleinere Seen herum und manchmal sieht aus, als sei hier in grauer Vorzeit ein Hagel von unterschiedlich großen Felsbrocken heruntergegangen. Es mag vielleicht selten der Fall sein, aber mir fehlen einfach die Worte um das beschreiben zu können.
Ziemlich zu Anfang der Schotterpiste befindet sich ein kleiner Grenzposten, an dem zwei Wehrdienstleistende ihren Dienst an einer Stelle verrichten, wo der Grenzfluss unmittelbar an die Schotterpiste heranreicht und seichte Stellen im Fluss die Möglichkeit böten mal eben schnell hinüber nach Russland zu springen. An der Mündung selbst sind dann auf beiden Seiten relativ dezent ein paar Türme und niedrige Gebäude zu erkennen. Auf norwegischer Seite stehen eine Handvoll Häuser und eine Kapelle. Die Grenze verläuft in Flussmitte und der Fluss schlängelt sich fast immer in Sichtweite zur Straße Richtung Barentssee. Auf norwegischer Seite wird die Grenze durch gelbe Pfosten mit schwarzer Kappe und auf der russischen Seite durch rote Pfosten mit grünen Streifen angezeigt. Zäune oder Stacheldraht sind hier Fehlanzeige. An der Mündung, am Ende der Straße, komme ich mit einem Wohnmobil- und ebenfalls Motorradfahrer ins Gespräch. Etwa zwei Stunden später verabschieden wir uns und ich habe das Gesamtbild meiner Tour um ein weiteres wertvolles Mosaik erweitern können.
Es ist spät geworden in dieser verlassenen Ecke Europas und es wird Zeit mich um ein Abendessen in Kirkenes zu kümmern. Am kleinen Grenzposten der beiden Wehrpflichtigen verwickele ich die beiden freundlichen jungen Männer in einen kurzen Plausch. Nachdem dann aber bereits ein PKW angehalten und uns drei fotografiert und auch der Wohnmobilfahrer vorbeigefahren war, wurde mir bewusst, dass ich die beiden weiter Schach spielen lassen sollte. Kein Problem meinte man, sie seien für jede Abwechslung dankbar. Ich kann es ihnen nachempfinden. Ihre Schicht sei um 2 Uhr Nachts zu Ende und insgesamt müsse der Posten besetzt sein bis der erste Schnee falle und die Straße gesperrt werde. Und das bei nur einem Unterstand und einem kleinen Lagerfeuer davor. Tauschen wollte ich mit den Beiden nicht.
Walsteak steht dann etwas dekadent auf meinem Speiseplan. Jeden Tag wird das nicht gehen, denn dafür hätte ich in Deutschland zweimal essen gehen können.
Bestes Wetter. Noch. Ich möchte nach Hamningberg einem ehemaligen Fischerdorf und ziemlich weit abgelegen. 5 Stunden Fahrt liegen vor mir und ein Teil davon ist im Grunde eine Sackgasse.. 160 km hin und 160 km zurück. Der Plan ist, dass ich bis Hamningberg fahre und dann knapp 40 km zurück bis Vardø und mir dort ein Zimmer nehme. Soweit der Plan. Meine Pläne sind in letzter Zeit nicht selten nach kurzer Zeit nur noch Makulatur. Ich komme nur bis Vardø, weil ich unterwegs fotografieren und eine Regenpause einlegen musste und mich dann in irgend einem kleinen Nest, wo es mal wieder etwas zu fotografieren gab, noch mit Heikki unterhalten habe, einem gleichaltrigen Finnen der mit einer Norwegerin verheiratet ist und so manche Geschichte, aber auch Tipp zu erzählen hatte. Ich komme aber deshalb nicht mehr nach Hamningberg, weil es keine Aussicht gab trocken wieder zurückzukommen. Ich versuche es zwar, breche aber nach wenigen Kilometern ab und sehe zu, dass ich ins noch trockene Vardø komme. Morgen ist auch noch ein Tag. Dafür statte ich dem Fort im Ort einen Besuch ab, das ich letztes Jahr im März nur verschneit gesehen hatte.
Heute werden es ungewollte satte 390 Kilometer. Es ist 8.30 Uhr als ich bei gleichen Temperaturen aufbreche. Die Heizgriffe laufen auf höchster Stufe, der Rest des Körpers scheint noch zu schlafen, aber die Sinne sind komplett wach, werden nach wenigen Kilometern fast schon Endorphine freigesetzt. Wie gut, dass ich gestern die Strecke abgebrochen habe. Die Sonne scheint, kein Wind weht und auf der schmalen Straße kommen mir um diese Zeit noch keine Fahrzeuge entgegen. Ich komme mir vor als sei ich, eigentlich bin ich am Ende der Welt. Ich hätte mir nicht einmal im Traum eine solche Landschaft einfallen lassen können. Ich halte an, stelle den Motor ab und höre die Stille. Ich stehe einfach nur da, halte in mich und atme ganz langsam ein und aus. Das spiegelglatte Meer vor mir und eine Felslandschaft wie von einem entfernten Planeten. Wenn jetzt noch in der Nähe ein Wal auftauchen sollte und eine Fontäne macht, dann mach ich mir in die Hose. Auf den gesamten fast 40 Kilometern fahre ich an der Barentssee auf der einen und einer Gebirgskette auf der Seite entlang. Mal komme ich an einem Sandstrand vorbei, an dem ich mir bei diesen Temperaturen so gar keine Badegäste vorstellen kann, mal sind es zerklüftete Felsen. Immer mal wieder stehen ein paar verlorene Häuser in der Gegend herum, sitzt man vereinzelt schon auf der Terrasse und fängt die ersten Sonnenstrahlen ein. Was soll man hier auch sonst machen. Selbst jetzt, stunden später, kann ich nicht beschreiben in welch faszinierender Landschaft ich unterwegs war. Ich halte immer wieder an und fotografiere, muss dieses "middle of nowhere" einfach fotografieren, wo der einsame Spaziergänger, den ich gerade überholt hatte, irgendwie fehl am Platze wirkt und dann auch von zwei Off-Road-Fahrzeugen mitgenommen wird.
Dann tauchen eine Handvoll Häuser auf und ist die Straße zu Ende. Ich bin in Hamningberg angekommen. Hamningberg selbst ist eigentlich nichts besonderes, außer, dass es mal ein verlassenes und seit einiger Zeit wiederbelebtes ehemaliges Fischerdorf ist. An einer Stelle, wo ich einen tollen Blick über die kleine Bucht und auf Hamningberg habe treffe ich auf die Männer aus den beiden Off-Road-Fahrzeugen. Es sind Finnen, die eigentlich eine Tour durch Russland machen wollten, wegen Corona jetzt aber in Norwegen gelandet sind. Ich lasse mir Zeit mit der Weiterfahrt, kann mich einfach nicht lösen von dieser Gegend, die so ungastlich, so unwirklich erscheint und in der doch Menschen leben.
Das Wechselbad der Gefühle, das Wechselbild der Landschaft setzt sich fort. Nachdem ich die "Sackgasse" wieder verlassen habe, die Wolken plötzlich dicker und vor allem dunkler werden, es dann auch kurz zu regnen beginnt, komme ich auf den weiteren knapp 200 Kilometern aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Das einzige Problem das sich aber langsam einstellt ist, dass ich noch immer keine Herberge für die Nacht habe. Da wo ich hätte eine bekommen können, war ich gefühlt noch nicht weit genug gefahren und da wo ich dann lange genug unterwegs war, gab es keine Unterkünfte mehr. Auch die Tankstellen sind hier rar gesät. An einer frage ich und bekommen auf dem angrenzenden Campingplatz für 60 € eine Holzhütte angeboten. Dusche und Toilette über den Platz. Campingplatz eben. Das angeschlossene Restaurant hat seinen Reiz, der Preis und eine gewisse Arroganz des Inhabers aber lassen mich das Risiko eingehen es noch wo anders zu probieren. Nächste Möglichkeit gleich um die Ecke. Die Ecke ist 40 Kilometer entfernt, aber wenigstens in meiner geplanten Richtung. Der Campingplatz wirkt dann aber wie ausgestorben, an der Rezeption hängt ein Schild, dass man eine der folgenden Nummern anrufen möge und, dass eine Holzhütte 60€ koste. Nirgendwo ein Restaurant. Ich drehe eine Runde durch den überschaubaren Ort in der Hoffnung, dass noch irgendwo ein Schild nach der Art "Zimmer zu vermieten" hängt, aber Fehlanzeige. Zurückfahren? Geht gar nicht. Allein schon wegen der Blöße die ich mir geben könnte. Also weiterfahren zur nächsten Ecke. Die kommt dann in Form einer Tankstelle und eines angeschlossenen kleinen Supermarktes. Dort frage ich den jungen Kassierer, der aber erst mit Hilfe einer älteren Kundin auf den von mir gewünschten Weg gebracht werden muss. 200 Meter entfernt werde ich dann fündig und nach einem kurzen Telefonat habe ich ohne handeln eine Holzhütte für 40€ mit Blick in die Weite Norwegens. Nicht genug dessen, denn der Inhaber kommt kurze Zeit später vorbei und wir quatschen uns fest. Zwei Stunden später weiß ich alles über Mückenschutz, Eisangeln, wie es sich bei niedrigen Temperaturen gut leben lässt, dass ich mir unbedingt den "Silfar-Canyon" ansehen müsse, einiges über das norwegische Steuersystem und wie ich die Waschmaschine auf dem Platz richtig bediene.
Dick eingepackt sitze ich jetzt auf dem Motorrad und hoffe, dass die sehr zahlreichen dunklen Wolken nicht gerade dann ihr Wasser ablassen wenn ich drunter herfahre. Ich fahre zu der vom Platzinhaber beschriebenen Leitplanke am Rande des "Silfar-Canyon", stelle mein Motorrad ab, steige über die Planke und hangele mich dann vorsichtig den Abhang hinunter. Kein leichtes Unterfangen. Dick angezogen und in meinen Wanderstiefeln 3.0 auf feuchten Bodendeckern und über Äste hinwegsteigend nähere ich mich der etwa 110 Meter hohen steilen Abbruchkante. Nachdem ich den ersten morschen Ast einer altersschwachen Buche erwischt habe, sehe ich mir die nächsten Halt versprechenden Äste etwas genauer an. Komme ich ins Rutschen, liegen nur noch die etwa 110 Meter vor mir. Alles geht gut und ich habe den versprochenen Blick.
Die kleine Hardcore-Varianteund die gemäßigtere Version
Gestern saß ich eindeutig zu viel auf dem Motorrad. Die heutige Etappe zum Nordkap ist nicht lang und eine Übernachtung habe ich in Honningsvåg, etwa 30 km vom Nordkap entfernt vorgesehen. Je näher ich Honningsvåg komme, desto heller wird der Himmel. Am Nachmittag komme ich in meiner relativ neuwertigen Luxushütte mit zwei Bädern und 4 Schlafzimmer direkt am Wasser mit Steg an. Mit der Buchung der Unterkunft hatte ich eine Einladung zu einem "King Crab Event" erhalten, verbunden mit einer Präsentation über Leben, Geschichte und Anatomie der Königskrabbe und anschließender Verkostung. Ist natürlich nicht umsonst, aber was soll´s. Wir sind zu dritt. Ein Pärchen im Alter meiner Kinder von der Insel Aland und ich teilen uns eine Riesenkrabbe. Die Krabbe, vom Geschmack würde ich sie irgendwo zwischen Hühnchen und Hummer einordnen, war total lecker.
Das Nordkap mache ich dann morgen, aber das Richtige und es wird doch dann nur das touristische Nordkap mit Blick auf das Echte.
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Tags: Norwegen