"Fährt durch Wald"

Tag 189 ff - Finnland: Wenn mein Navi keine weiteren detaillierten Angaben machen kann, dann meldet es "Fährt auf Straße". Das ist kurz und prägnant auf den Punkt gebracht, denn ich weiß dann zumindest, dass ich nicht im Flugzeug sitze. Wenn ich beschreiben sollte wo ich mich in Finnland überwiegend befinde, würde ich es wie mein Navi machen: "Fährt durch Wald".

Ich fahre nach Hanko, der südlichsten Stadt Finnlands, etwa 100 km westlich von Helsinki. Hanko ist ein kleiner Badeort mit zahlreichen Holzvillen in Strandnähe, wird aber am Ortsrand auch durch einen Fähranleger und seinem LKW Umschlag geprägt.

Es regnet zwischendurch, die Regenhose überzuziehen lohnt sich aber nicht. Die Temperaturen pendeln sich wieder bei etwa 17/ 18 Grad ein, aber die Sonne kommt oft genug zum Vorschein, so dass das T-Shirt unter der Jacke und auch die Jeans noch ausreichen. Ich fahre bis Turku, finde ein Hotel und sitze dann beim Bier in der Altstadt am Ufer des Aurajoki.

In Turku

Bei äußerst frischen, aber noch trockenen, ja teilweise sonnigen 11 Grad fahre ich los. In der Nacht hatte es geregnet und den Wolken nach zu urteilen könnte es am Tag erneut geschehen. Ich male mir aus, wie es dann wohl bei fallenden Temperaturen werden könnte. Bin ich richtig ausgestattet? Werde ich durchhalten? Habe ich das Wetter im Norden Norwegens womöglich falsch eingeschätzt? Egal, und wenn alle Stricke reißen, dann fahre ich ein Stück mit dem Postschiff. Im Augenblick allerdings bedaure ich ein wenig, nicht doch nach Italien gefahren zu sein, denn im schlimmsten Fall fühlt sich warmer Regen immer noch besser an als kalter.

Ich war gestern überwiegend auf Straßen unterwegs, die unseren Bundesstraßen ähnlich sind und hier quasi die Schnell- oder Verbindungsstraßen des Landes darstellen. Neben einem überschaubaren Lkw-Verkehr sind sie aber gespickt mit Radaranlagen. An jeder Ortsdurchfahrt und an jeder Abzweigung ist eine zu finden. Dafür sah ich aber so gut wie keine Polizei. Heute werde ich mich mehr in Richtung Meer begeben in der Hoffnung auch etwas davon zu sehen.

Über landschaftlich schöne, aber meistens eben auch durch Wälder führende Straßen auf der mir nur noch selten ein Auto begegnet, fahre ich von Turku nach Rauma. In der Altstadt von Rauma stehen etwa 600 Holzhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert und ist Rauma deshalb auch zum UNESCO-Welterbe ernannt worden. Ich beabsichtige nicht die Anzahl zu überprüfen, sondern lasse mich einfangen vom Charme und Flair dieses hübschen Ensembles von Häusern in unterschiedlichen Farben.

Von einem Harley-Fahrer aus dem gleichen Hotel in Turku hatte ich erfahren, dass ich auf meiner Weiterfahrt unbedingt über Ahleinen Richtung Vaasa fahren solle. Es sei eine wundervolle Strecke. Und damit hatte er auch recht. Es sollte einer der landschaftlich schönsten Abschnitte Richtung Norden und entlang des Bottnischen Meerbusens für mich werden, obwohl er sich nicht wirklich groß vom Gesamtbild abhob. Vom Meer sehe ich wenig, denn im Gegensatz zu Griechenland oder anderen Mittelmeerländern, verläuft die Straße, scheinen fast alle Straßen nicht direkt am Meer zu verlaufen, sondern sind immer getrennt von einem mehr oder weniger breiten Waldstreifen. Kleinere Wege dorthin führen nicht selten über oder zu Privatgrundstücken und nach passenden Wegen suchen möchte ich nicht, denn Finnland ist für mich letztendlich nur ein Transitland und kein Urlaubsland. Dennoch gefallen mir die bis dahin seltenen Kurven, der Wechsel der Farben, denn die ersten Anzeichens des Herbstes zeigen sich bereits, und die immer wieder, oft rot-weißen Holzhäuser zwischen den Bäumen. An einem kleinen Museum mache ich eine ebenso kleine Pause und lege eine weitere bei einer Burg ein, nicht weit von der Hauptstraße entfernt.

Etwa 50 km nordöstlich von Kristinestad finde ich eine Unterkunft in einer ehemaligen Volksschule. Das erste Mal, dass ich in der Schule schlafen darf ohne ermahnt zu werden. Eine frühere Schülerin hatte zusammen mit ihren beiden erwachsenen Kindern die ehemalige Schule vor ein paar Jahren übernommen und sie dann zu einem kleinen B&B hergerichtet. Geschlafen wurde in der ersten Etage, in der seinerzeit die beiden Lehrer mit ihren Familien untergebracht waren und gefrühstückt wurde in einem der beiden ehemaligen Klassenzimmer. In einem standen noch 6 der originalen, alten Schulpulte. Eine besondere Unterkunft und wieder ein besonderes Mosaiksteinchen auf meiner Tour. 

Da ich es gestern nicht mehr geschafft habe, mache ich auf meinem weiteren Weg nach Oulu einen kleinen Abstecher nach Vaasa. Ich fahre ins Zentrum, weil ich annehme dort eine Altstadt oder ähnliches vorzufinden. Das Zentrum ist jedoch ein Platz, der Bahnhof im Stil einer Holzvilla nicht weit entfernt, aber nach Altstadt sieht das alles nicht aus. Ich frage einen Taxifahrer und er markiert mir auf meinem Handy die Stelle, wo ich die "Old Town" finde.
7 km entfernt. Ich hatte gar keine Ahnung dass Vaasa so groß ist. Nach kurzer Zeit bin ich offenbar im Vorort und Hinweisschilder mit "Gamle Vaasa" lassen eine Ahnung in mir aufsteigen, dass "Gamle" eine Steigerung von Alt sein könnte. Noch eine Kurve und ich stehe vor der Ruine einer ehemals großen Kirche umgeben von ein paar Grundmauern und einem kleinen Park. Eine Auskunftstafel bestätigt, dass ich im oder besser beim "Alten Wasa" angekommen bin. Alles also Interpretationssache oder "Sender und Empfänger". Zurück ins Zentrum fahre ich nicht mehr, sondern gebe Oulu in mein Navi ein. 

In Oulu beziehe ich mein Privatzimmer mit Schaukelstuhl auf dem eigenen Balkon, mache mich aber trotzdem auf den Weg um von Oulu noch was zu sehen. Am Ende des etwa einstündigen Orientierungsganges hab ich mich in einem Pub "erholt". 

Womit ich gerechnet hatte ist eingetroffen. Norwegen beabsichtigt im Laufe des Tages, keine Woche nach Finnland, für einige Länder Corona bedingte Änderungen, insbesondere die Quarantänepflicht einzuführen. Schlimmer noch, denn wenn Deutschland zu einem Risikogebiet erklärt werden sollte, könnte dies ab übermorgen (29.08.2020) bedeuten, dass jeder Deutsche und entscheidend sei einzig der im Pass angegebene Hauptwohnsitz, auch nicht mehr über Finnland und Dänemark ohne Quarantäne einreisen dürfe. Mit dieser Information setze ich mich auf mein Motorrad und fahre weiter Richtung Norden. Es scheint, als käme ich mal wieder kurz vor Toresschluss und hätte nirgendwo einen Tag länger bleiben dürfen, denn die rund 850 Kilometer sollten an zwei Tagen zu schaffen sein. Auf einem Campingplatz in Sodankylä, wo ich mir eine Holzhütte miete, erfahre ich später, dass die Einreise über Finnland auch weiterhin möglich sein solle.

Wurde ich in Rumänien, Griechenland oder anderswo von Entgegenkommenden per Lichthupe angeblinkt, dann warnte man mich ausschließlich vor einer Polizeikontrolle. Laufen in Rumänien, Griechenland oder anderswo schon mal Kühe oder Ziegen auf der Straße sind es in Lappland Rentiere.

Ich habe Glück und die Sonne scheint. Die dunklen Wolken von gestern lassen bis Mittag auf sich warten, ziehen sich dann aber mit aller Macht zusammen, pendeln sich die Temperaturen bei um die 10 Grad ein. Ich fahre erneut über oftmals schnurgerade Straßen und des Öfteren an den Ausläufern unzähliger Seen vorbei, aber das Grau des Himmels spiegelt sich nicht nur im Wasser sondern auch in meiner Stimmung wider. 

Als ich vom Navi wieder auf eine dieser "Bundesstraßen" geschickt werde, weisen große Plakate auf "Santa Claus Village" hin. Kurz hinter Rovaniemi taucht dann eine Anlage aus unzähligen rot-weißen Ferienbungalows, Restaurants und anderen Gebäuden auf. Hier soll sich auch das "Santa Claus post-office" befinden. Ich drehe eine Runde über die leeren Parkplätze und sehe dann den Grund für diese Touristenattraktion. Ich bin am Polarkreis. Ganz Findige haben daraus offenbar eine Geschäftsidee gemacht. Ich fotografiere die Tatsache, dass ich dabei bin den Polarkreis zu überqueren und fahre anschließend weiter nach Sodankylä.

Ich werde wach und merke an der Raumtemperatur in meiner Holzhütte, dass es in der Nacht kalt gewesen sein muss. Da in einem der Motorradkoffer sich ein angebrochenes Paket Kaffee befindet, gehe ich nach draußen um es zu holen und stelle fest, dass das Motorrad mit einer kleinen Eisschicht überzogen ist, die Sonne aber schon bereit steht um das zu ändern. Nach zwei Tassen Kaffee sitze ich schon bald wieder im Sattel. Das Wetter ist herrlich. Strahlend blauer Himmel bei allerdings frischen 9-10 Grad. Ich habe meine Thermosachen untergezogen, auch wenn ich mir jetzt, nach Wochen in T-Shirt und Jeans, ein wenig wie ein Michelin-Männchen vorkomme. Etwa 60 km hinter Ivalo biege ich von der weiter nordwärts Richtung Nordkap führenden Hauptstraße ab und fahre auf den nächsten 120 km auf einer schmaleren, gelegentlich auch kurvigen Straße durch unberührte Natur, in der mir nur ab und zu ein Pkw und ganz selten mal ein Giga-Liner entgegenkommen. In dieser Gegend wechselt die Landschaft in schon fast schwindelerzeugender Schnelligkeit und so bekomme ich doch noch ein paar "läppische Feuchtgebiete" zu sehen. Ich fahre durch Fichten- und dann wieder durch immer lichter werdende Birkenwälder. Mal überquere ich kleinere Flussläufe, mal führt die Straße auf einem Damm durch eine Seenlandschaft, komme ich an großen Steinfeldern vorbei, die aussehen, als hätte die Natur hier einen riesigen Sack voller Felsbrocken ausgeschüttet und sie auf der Fläche dicht an dicht liegend verteilt. Und über allem ein Himmel, dessen Blau irgendwie anders aussieht. Je weiter ich in Richtung Norden sehe, verändert sich das Blau über mir, so wie ich es kenne, zu einem blassen Hellblau, dass mich an Babywäsche für Jungen erinnert.

Und dann stehe ich plötzlich vor der Grenze zu Norwegen. Ein Container zwei Polizisten. Die Grenzlinie wird durch ein in der Fahrbahn liegendes Gitter markiert,  das verhindern soll, dass Tiere von A nach B wechseln. Ich zeige meinen Personalausweis vor und halte noch einen kleinen "Schnack" mit den Beamten, die in dieser Wildnis wegen Corona 30-40 Fahrzeuge am Tag kontrollieren. 

Und damit habe ich, allen Corona bedingten Widrigkeiten zum Trotz, doch noch mein letztes Etappenziel, vier Wochen durch Norwegen erreicht. 

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