Estland

Tag 187 - Estland: Vor zwei Wochen bin ich in Istanbul abgefahren und hatte gehofft, dass ich noch vor einer eventuellen Schließung von Grenzen durchkommen werde. Ich stehe kurz vor einem Etappenziel.

Heute bekomme ich mal einen Vorgeschmack auf das, was mich die nächsten Wochen begleiten könnte. Stark bewölkt zeigt sich der Himmel, es regnet, aber nur leicht und auch nur gelegentlich und die Temperaturen liegen bei 17/18 Grad. Die Grenze ist nach 5. Minuten erreicht. Noch etwa eine Stunde bis Pärnu, aber Sightseeing dürfte bei dem Wetter ausfallen und Arensburg, ein ganz gewagter Gedanke von vor 3 Tagen fällt damit ganz aus und überhaupt bin ich viel zu spät losgefahren. Aber muss ich mich noch beeilen? 

Kurz hinter der Grenze biege ich ab und fahre an der oft in Sichtweite befindlichen Ostsee entlang. Das feuchtsilbrig schimmernde anthrazitfarbene Band der Straße ist selten kurvig, aber verläuft fast ausschließlich durch Fichten- oder Mischwald. Es duftet nach frisch geschlagenem Holz und manchmal nach frischem Rindenmulch. Immer wieder tauchen einzelne Häuser zwischen den Bäumen auf, die durch ihre rote Farbe oder Architektur an die Häuser in Skandinavien erinnern. Ein paar wenige erinnern mich jedoch auch an die Häuser in Ahrenshoop und Zingst an der deutschen Ostseeküste. 

Während ich dahin cruise sehe ich von weiten vier Radfahrer ebenfalls auf dem Weg nach Pärnu. Beim Vorbeifahren ein allgemeines "Hallo" und "Gute Weiterfahrt", denn die vier sah ich bereits in einem Biergarten in Riga und glaubte sie sprächen deutsch. Als ich gestern Abend im Hotel eingecheckt und mich auf die Terrasse begeben hatte, hörte ich erneut deutsche Stimmen und bemerkte die Combo an einem Tisch sitzend. Sie kommen aus dem Raum um Paderborn und seien auf Radtour durch Estland erzählten mir die rüstigen Rentner. Und als kenne man sich schon länger, duzten wir uns von Anfang an. Eine nette Truppe, die nicht zum ersten Mal mit dem Fahrrad unterwegs ist und für ihren jetzigen Trip insgesamt 2 Wochen eingeplant hat. Nächste Woche Sonntag will man von Tallinn aus mit der Fähre zurück nach Travemünde. Respekt.

Als ich nach Pärnu komme, hat es stärker zu regnen begonnen. Wenn schon kein Sightseeing, dann vielleicht shoppen. Gestern hat mir jemand beim Russenbunker den Aufladeadapter samt USB Kabel geklaut, das Navi brauchte man wohl nicht. Es ist gar nicht so einfach im Baltikum einen Motorrad-Shop zu finden, aber in Tallinn werde ich fündig. 

Pärnu: keine Ahnung was das ist, aber zumindest ein Beweis, dass ich dort war.

Das "Tallinner Tor"

Ich werde auch in Tallinn übernachten. Spricht auch gar nichts gegen. Kurze Wege und deshalb Hotel 200 Meter von der Altstadt entfernt und auch die Fahrt zum Fähranleger wird kurz. 5te Etage, neues Hotel, bodentiefe Fenster. Kann man von draußen /unten eigentlich reingucken? Na und wenn schon. So interessant ist das auch nicht mehr. Das Einchecken war etwas ungewohnt. Niemand da, alles ging per Automat. Personal spart Kosten und das merkt man dann am Zimmerpreis. Ansonsten folgt dann das Prozedere aller Stadtübernachtungen. Duschen und ab. Jacke nicht vergessen, denn es hat eben leicht geregnet.



Jetzt sitze ich in der Altstadt im Außenbereich des Restaurants "Olde Hansa", es regnet wie aus Kübeln, trinke das zweite Kräuterbier, weil ich hier sowieso erstmal nicht wegkomme und hätte auch einen Pullover anziehen sollen. Tolle Aussichten.

Irgendwann versuche ich es. Mit tief heruntergezogener Kapuze und hochgezogenen Schultern gehe ich an den Hauswänden entlang in der Hoffnung nicht doch noch bis auf die Haut nass zu werden. Ich verliere etwas die Orientierung und außerdem wäre es gut gewesen vorher nochmal das WC aufgesucht zu haben. Hätte, hätte. Ich komme an einem Restaurant vorbei und denke, bevor ich hier gleich....
Es ist ein indisches Lokal in den Katakomben eines Wohnhauses. Mir gefällt nicht nur das WC, setzte mich in eine der Kasematten und finde, dass man auch mal einer Blase folgen kann.

Der Kellner, vom Typ Jerry Lewis in jüngeren Jahren, nur mit dunklerem Teint, bedient am Nebentisch vier junge Frauen. Irgendwie erinnert mich die Szene an einen Sketch wo eine Gruppe Männer an einem Tisch jeder ein Bier bestellt, am Nebentisch die Frauen aber ewig brauchen um eine Bestellung zu formulieren. Der Kellner wartet mit einem geduldigen Lächeln. Als er sich abwendet greifen alle vier Frauen fast zeitgleich zu ihrem vor ihnen liegenden Handys. Zur Ehrenrettung muss ich sagen, dass nach rund fünf Minuten dann scheinbare Frauengespräche ohne Handy stattfinden.

Bei immer noch Wolkenbruch ähnlichen Regenfällen gönne ich mir ein Taxi und fahre zum Hotel zurück. Morgen um 10.30 Uhr geht die Fähre nach Helsinki.

Tags: Estland, Baltikum