Litauen

Tag 183 ff - Baltikum: Heute bin ich 6 Monate unterwegs, habe knapp 28000 km abgespult, mein Motorrad und mich fast zerlegt und habe meine Tour abkürzen müssen, weil der "Ostblock" dicht ist. Wie eine rote Linie ziehen sich die Corona bedingten Grenzschließungen, insbesondere für Landreisende von Nord nach Süd. Russland, Georgien, Armenien und damit auch kein Kasachstan. 

Ich habe da einen kleinen Grenzübergang gefunden, der mich aufgrund seiner Lage einfach anspricht. Der schnellere über die Autobahn wäre sicher auch voller gewesen, was die geringere Entfernung wieder ausgeglichen hätte. Mein Navi warnt mich, dass ein Teil der Strecke Erdstrecke sein soll, aber so schlimm wird es schon nicht werden. Dann werde ich aber doch überrascht. Es ist nicht die Schotterpiste die ich 2-3 km fahren muss, sondern die Stelle, wo die Straße hinter einer Kurve wieder in Asphalt übergeht. Ich bin in Litauen. Rechts und links zwei rot-weiß gestreifte Holzbalken wie zur KuK Zeit und das blaue europäische Einheitsschild mit Ländernamen. Das glaube ich jetzt nicht, aber es gibt weit und breit nur Gegend und nach ein paar 100 Metern einen Zaun. Die Straße führt durch ein Tor aus Maschendraht garniert mit Stacheldraht, Typ "Einfaches Arbeitslager" aus der braunen Zeit. Daneben steht ein Streifenwagen. Der Mähdrescher vor mir darf weiterfahren, ich werde angehalten. Natürlich kann ich kein litauisch. Vielleicht hätte russisch geholfen, aber selbst wenn ich fließend russisch sprechen könnte, würde ich es dem mürrisch dreinblickenden Beamten in dieser Situation (noch) nicht auf die Nase binden. Englisch kann oder will er nicht. Hab mir erspart freundliche Grimassen zu ziehen, denn DER hätte das vermutlich fehlinterpretiert. Nach "Passaporte" oder so ähnlich und "driver licence" hat er dann wohl alles was er will und fragt mich abermals etwas, was ich mit "only englisch" oder "nur deutsch" beantworte. Dann kommt ein Pkw aus entgegengesetzter Richtung. Ich bekomme meine Papiere zurück und der Pkw nun die volle Aufmerksamkeit, denn auch sein Kollege schält sich aus dem Streifenwagen. 

Jetzt, wo ich nicht im Transit unterwegs sein muss kann "easy going" auch sofort beginnen. Das Navi wird auf "kurvenreich" eingestellt und ab geht es Richtung Vilnius oder besser gesagt nach Trakai und der Inselburg Traken aus dem 14. Jahrhundert, dem angeblich meist fotografierten Gebäude in Litauen.

Die Burg habe ich dann auch fotografiert, besichtigt habe ich sie allerdings nicht. In einem Biergarten ganz in der Nähe sitzen zwei Biker aus Süddeutschland. Davor stehen, wie soll es auch anders sein, eine 1200er und 850er BMW GS Adventure. Der mit der 1200er war am Nordkap, der andere die finnisch-russische Grenze abgefahren. Man hatte sich zufällig getroffen und werde nun gemeinsam zurückfahren. Von ihnen erfahre ich auch, dass Finnland in den nächsten Tagen offenbar die Grenzen wieder dicht machen soll. Aufgrund der insgesamt wieder überall steigenden Infektionszahlen hatte ich damit gerechnet und nicht umsonst war ich die letzten Tage gefühlt auf der Flucht. Die Erfahrung der letzten Monate hat mir jedoch gezeigt, dass Änderungen nicht von Heute auf Morgen passieren, sondern ein paar Tage vorher angekündigt und dann oftmals zum Wochenende umgesetzt werden. Bis dato hatte ich auf der App des Auswärtigen Amtes noch nichts gelesen. Diese Aussage machte mich allerdings etwas unruhig. Ich wollte es nicht fast bis nach Estland geschafft haben, damit mir Finnland kurz vorher die Tür vor der Nase zumacht. Noch ist nicht aller Tage Abend, also weiter. Ich fahre wie beabsichtigt nach Rumsiskes, einem ethnologischen Freilichtmuseum und eines der populärsten Sehenswürdigkeiten in Litauen und verbringe dort den halben Nachmittag.

Auf den anschließenden wenigen Kilometern bis Kaunas, wo ich übernachten werde, fahre ich streckenweise auf Sandwegen und im Bau befindlichen Straßen durch Wälder und über eine Waschbrettpiste, die ich so noch nicht erlebt habe und was ich mir für heute eigentlich ersparen wollte. Das Motorrad wird über mehrere hundert Meter dermaßen stark durchgerüttelt, dass ich zeitweise nur besonders langsam fahren kann. Das wiederum ist dann mein Glück, denn der Anbauadapter des rechten Spiegels bricht, vermutlich hatte er durch den "Umfaller" ein paar Tage zuvor einen Knacks abgekommen und legt sich auf mein Handgelenk. Ich kann ihn gerade noch rechtzeitig vor einem Runterfallen sichern. Die Weiterfahrt ist dann etwas, nun ja ungewohnt.

Kurze Zeit später komme ich in meinem Hotel an. Es liegt unmittelbar auf der Altstadtinsel von Kaunas, eingebettet zwischen dem Neris und der Nemunas, besser bekannt als Memel. Da ich jetzt ein Ersatzteil organisieren muss, bleibe ich vielleicht 2 Nächte hier. Nach Istanbul wird es mal wieder Zeit für eine Pause. Zeit wird es auch schon bald wieder für eine Jacke, denn die Abende werden langsam frischer. 

Das mit dem Ersatzteil gestaltet sich dann aber etwas schwierig. Hast du im Ausland Probleme mit deinem Motorrad, dann frage einen Biker wo er reparieren lässt. Nun habe ich in Litauen bisher so gut wie keine Biker gesehen und deshalb kam mir der eine auf dem Marktplatz am Abend zuvor gerade recht. Er sei noch nicht lange Biker und sein Motorrad habe noch Garantie und war auch noch nicht kaputt. Aber er half mir dann einen BMW-Händler ausfindig zu machen. 

Ich habe meine Sachen gepackt, die zweite Nacht muss woanders stattfinden, und fahre zu diesem BMW-Händler. Man könne das Ersatzteil zwar besorgen, sagt man mir, aber Ersatzteile müssten erst aus Deutschland geliefert werden, Lieferzeit 3 Tage. Allerdings findet er dann heraus, dass es in Vilnius einen Gebrauchtteileshop gäbe der für 10 Euro einen Adapter vorrätig habe. Ich fahre also etwa 100 km wieder zurück nach Vilnius, wo ich gestern fast gewesen wäre, und fahre 2 Stunden später wieder mit einem rechten Außenspiegel weiter. Nach einem kleinen Abstecher zum "Berg der Kreuze" und einer etwas längeren Gewitterzwangspause überquere ich die Grenze nach Lettland.

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