Polen

Tag 180 ff - Polen: Heute ist Samstag, trotzdem stimmt irgend etwas nicht. Nicht wenige, die in Sonntagskleidung durch die Gegend laufen. Manche haben einen Blumenstrauß in der Hand, andere stehen andachtsvoll vor Kirchen, was wohl Corona geschuldet ist. Es ist Mittag.
Später lese ich, dass "Mariä Himmelfahrt" ein gesetzlicher Feiertag ist und damit wie ein Sonntag gehandelt wird. Gut, dass ich noch in der Slowakei gefrühstückt habe, sollte man allerdings kurzfristig an einem Feiertag wie diesem in Polen ein Zimmer suchen müssen, dann wird es schwierig. Sandomierz liegt auf dem Weg. Ich war vor 3 Jahren schon mal dort. Eine nette Stadt, wäre also der ideale Ort um zu übernachten. Pustekuchen. In Sandomierz gibt es kein Zimmer mehr. Der Ort ist total überlaufen. Absperrungen, Buden und Menschen wohin man schaut. Mit Sandomierz wird es also nichts. Im näheren Umkreis gibt es nur noch zwei Angebote. Ich nehme dass, das auf dem Weg liegt.
Dass man mir gestern in Sandomierz sagte, ich hätte heute ohne Probleme ein Zimmer bekommen können, macht Mut für Warschau, denn da will ich morgen zu einem BMW-Händler Ersatzteile besorgen. Am frühen Nachmittag komme ich in meinem Hotel an, dass in zweiter Reihe zur Nowy Swiat (Neue Welt Straße) und damit schon fast an der Altstadt liegt. Warschau ist nicht gerade eine Kleinstadt trotzdem komme ich auf relativ leeren Straßen gut ins Zentrum. Also ein ruhiger Sonntag. Nicht ganz. Als erstes sperrt in der Innenstadt die Polizei eine Kreuzung weil mehrere offene Pferdekutschen und Reitergruppen in alten Uniformen passieren, dann sehe ich weitere Polizeifahrzeuge, Gruppen- bzw. Mannschaftswagen. Erst ein paar, dann mehrere. Nachdem ich eingecheckt und geduscht habe, bin ich nach wenigen Minuten in der am Wochenende zur Fußgängerzone erklärten Nowy Swiat und damit Richtung Altstadt. Auf der Nowy Swiat und in den Nebenstraßen sehe ich weitere unzählige Mannschaftswagen. Da wo es vor 3 Jahren, als ich das erste Mal hier war, ziemlich ruhig und gesittet zuging, stehen jetzt Polizeiketten und machen die Straße dicht. Eine kleine Gruppe von Demonstranten sorgt für demokratische Stimmung. Alle sind vermummt. Corona. Es sollen Nationalisten sein. Dann hieß es offenbar "Polizeikette Marsch" und Jeder/Jede hakt sich ein und langsam und auch nicht unfreundlich werden die Passanten etwa 15-20 Meter weit zum Rückzug aufgefordert. Es gibt keine Probleme. Während ich das hier schreibe sitze ich in unmittelbarer Nähe, denn ich habe gerade noch ein Schlupfloch finden können und mich auf die Biergartenterrasse eines angrenzenden Hotels setzen können.
Thema der Demo weiß ich nicht, kann ich auch nicht so richtig herausbekommen. Die Gruppe scheint nicht besonders groß zu sein, ist dafür aber besonders laut. Regenbogenfahnen werden geschwenkt, aber auch noch ein paar andere. Eigentlich sehe ich nur Polizei und die Fahnen. Ich mache mich auf den Weg. Zeuge einer Schlacht werde ich heute nicht mehr.
Wenn ich bedenke, dass ich eigentlich nach Warschau gekommen bin um morgen bei einem BMW Händler mal nach Ersatzteilen zu fragen, auch der Hauptständer macht Probleme, bin ich mal wieder überrascht, was aus diesem mehr oder weniger nicht geplanten Aufenthalt wieder entstanden ist.
Und der Tag ist noch lange nicht zu Ende.
Es bleibt entspannt. Ins ehemalige "Warschauer Ghetto" gehe ich nicht mehr. Viel übrig geblieben ist sowieso nicht und drei Jahre später brauche ich keine Wiederholung. Ich gehe dafür in die Altstadt. Auch drei Jahre nach meinem ersten Besuch von Warschau ist es einen mehrmaligen Besuch wert und nicht geeignet sich mental runterziehen zu lassen. Ich werde den Tag hier ausklingen lassen.
Auf dem Rückweg gehe ich wieder die Nowy Swiat entlang. Reinigungsfahrzeuge entfernen die Spuren der Demo und vereinzelt sind Gruppenfahrzeuge der Polizei unterwegs. Etwas weiter entfernt sehe ich allerdings wieder vermehrt gelbe Warnwesten mit der Aufschrift "Polizei" und beim Näherkommen erkenne ich auch den Grund. Eine Menschenkette für die Rechte in Belarus.
Den Absacker des Tages nehme ich auf der Terrasse einer Kneipe ein, im riesigen Innenhof nahe meines Hotels.
Möchte ich nochmal arbeiten wollen?
Ich beschließe doch nicht zum BMW Händler zu fahren, denn dass, was kaputt ist, kann auch noch länger so bleiben. Und wer weiß, was noch dazu kommen wird. Mein Plan ist so nahe wie möglich an die Grenze zu Litauen zu kommen. Eine Einreise aus Polen auf dem Landweg ist gemäß App vom Auswärtigen Amt (soll ich denen noch glauben?) nur mit Quarantäne möglich oder im Transit, dann aber in einem Rutsch. Tanken sei erlaubt, übernachten nicht. Ich frage mich wer das überprüfen will. Litauen ist nicht China. Oder doch?
Da ich mich kenne, werde ich die Durchfahrt mit etwas verbinden. In der Nähe von Kaunas bzw. Vilnius gibt es zwei Sehenswürdigkeiten, die ich mir gerne ansehen würde. Troika und Rumsiskes. Auf dem schnellsten Weg brauche ich etwa 4 Stunden ohne Pause. Also heißt es früh los, viel mitnehmen unterwegs und so schnell wie möglich wieder raus, wenn es nötig sein sollte und deshalb habe ich mir auch einen kleinen Grenzübergang ausgeguckt. Vielleicht hilft es ja. Wäre nicht das erste Mal.
Ich fahre die knapp über 300 km anfangs auf einer Kraftfahrstraße die besser aussieht als manche Autobahn bei uns. Dann reicht es irgendwann, was aber nicht heißt, dass es deswegen kurviger wird. Im Nordosten Polens scheint alles nur geradeaus zu gehen. Egal, ob in Richtung Ukraine oder Litauen. Selten, dass ich mal durch Dörfer oder kleinere Städte fahre, meistens geht es schnurgeradeaus durch mittlerweile abgeerntete, scheinbar bis an den Horizont reichende Felder oder es geht durch Wälder und nochmals Wälder. Die Straßen verschwinden teilweise mit der Krümmung der Erdkugel. Aber auch das macht Spaß, wenn hier nur die Versorgung mit Tankstellen üppiger wäre. Als die Lampe leuchtet schaffe ich auf den nächsten 40 km einen bis dahin noch nicht dagewesenen Durchschnittsverbrauch von 2,9 l/100 km, dann endlich werde ich erlöst. Mein Hotel in Sejny ist wieder einmal nicht der schlechteste Griff, aber den Whirlpool werde ich mir heute Abend mal schenken.
Wenn alles klappt, dann fahre ich ab morgen das eigentliche Ende meiner geplanten Tour bis zur Grenze Schweden/Finnland in entgegengesetzter Richtung. Morgen Abend werde ich in Lettland ankommen und danach wäre mal wieder etwas mehr "easy going" angesagt, sieht es dann aber auch nicht mehr nach möglichen Grenzproblemen aus.
Nordkap ich komme - okay, einen Tag noch, aber dann und dann bin ich auch genau ein halbes Jahr unterwegs.
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