Montenegro - über Kotor nach Niksic

Tag 130+131 - Montenegro: Keine 600 km lang ist der Abschnitt den ich für Montenegro vorgesehen habe und trotzdem kann ich Seiten füllen.
Ein letztes Mal blicke ich auf Dubrovnik und dann verschwindet die Stadt, die mich schon ziemlich beeindruckt hat, hinter der nächsten Kurve. Nach etwa 25 Kilometer biege ich von der Hauptstraße auf eine etwas weiter südlich, parallel verlaufende Nebenstraße ab, da ich anstelle des stärker frequentierten Hauptgrenzübergang einen kleinen Grenzposten nutzen möchte, der sich am südöstlichsten Ende Kroatiens befindet. Je näher ich diesem "Zipfel" komme, desto weniger Häuser stehen am Straßenrand, desto weniger Fahrzeuge sind unterwegs. Als der kroatische Grenzposten in Sichtweite kommt, denke ich "Was für ein idyllischer Arbeitsplatz".
Das Gesamtbild macht auf mich einen irgendwie surrealen Eindruck. In erhöhter Lage am Meer gelegen sitzen im Schatten der Überdachung ein Beamter und eine Beamtin an einem Campingtisch auf zwei Campingstühlen, vor sich jeweils eine Tasche Kaffee/Tee. Ich rolle heran und überreiche meinen Reisepass und die gewünschten Fahrzeugpapiere dem Beamten der aufgestanden und in sein Häuschen gegangen war. Die junge Beamtin bleibt am Campingtisch sitzen, als sei sie ein Gast. An sie gewandt stelle ich fest, dass das ein schöner Arbeitsplatz sei, worauf sie mir lächelnd zunickt. Auf meine Frage, ob ich der erste an diesen Tag sei nickt sie erneut. Dann bekomme ich meine Ausweise zurück und ich verlasse winkend diesen etwas wundersamen Ort.
Einige hundert Meter weiter taucht hinter einer langgestreckten Kurve der Grenzposten von Montenegro auf. Dieser Posten ist nur mit einem Mann besetzt, der etwas braucht bis er sich von seinem Stuhl erhebt und aus seinem kleinen Häuschen tritt. Mag sein, dass ich ihn gerade bei einem Computerspiel gestört habe und er den Spielstand speichern musste. Er nimmt meine Ausweispapiere und kurze Zeit später erhalte ich alles mit einem Lachen zurück. Da muss ich ja scheinbar eine richtige Abwechslung gewesen sein.
Ich fahre die etwa 50 km lange Küstenstraße, die Panoramastraße 3 nach Kotor, einer Stadt, die vor der Corona-Pandemie, genau wie Dubrovnik von vielen Kreuzfahrtschiffen angelaufen worden war. Die Straße verläuft fast ausschließlich in Ufernähe des sich bis nach Kotor windenden Fjords. Ich habe den Eindruck, als führe ich um inen riesigen Stausee herum. Sowohl auf, als auch am Wasser ist so gut wie nichts los. Wenn es hier Tourismus geben sollte, dann muss dieser durch Covid-19 noch mehr eingebrochen sein, als ich es bereits in Kroatien erlebt habe.
Von Kotor hatte ich mir dann allerdings mehr versprochen. Sicher eine nette alte Stadt mit niedriger Stadtmauer, die Dubrovnik aus meiner Sicht aber in keiner Weise das Wasser reichen kann. Ich fahre weiter auf der Panoramastraße, die sich hinter Kotor langsam den Berg hinaufschlängelt. Nach 25 mautfreien Spitzkehren habe ich in knapp über 800 Meter Höhe einen sensationellen Blick über den gesamten Fjord oder auch der "Bucht von Kotor". Wenn ich jemals wieder nach Montenegro kommen sollte, dann werde ich diese einmalige Strecke nochmal fahren.
Altstadt von Kotor
Blick auf die Bucht von Kotor
Ich muss mich ein wenig beeilen, denn die Erfahrung hat mir gezeigt, dass bei meinen Tourenplaner die Zeitangaben im Zusammenhang mit den Kilometerangaben in der Realität deutlich auseinanderdriften. Ich möchte nach Cetinje um mir dort eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen. Schon bevor ich Kotor verlasse weiß ich, dass ich aber vermutlich erheblich mehr als nur 50 Minuten benötigen werde. Abgesehen einmal davon, dass ich auf dem Weg dorthin noch ein Denkmal oder besser das Njegos-Mausoleum auf dem 1657m hohen Jezerski ansehen möchte. Da das Mausoleum so etwas wie ein nationales Heiligtum darstellen soll, denke ich, dass man da hinfahren sollte. An einem Schlagbaum ca. 3 km bevor die asphaltierte Straße zum Gipfel zu Ende ist, muss ich einen Wegezoll von 2 Euro entrichten. Zufahrt verboten zwischen 18 und 6 Uhr, steht auf einem Schild. Oben angekommen treffe ich auf einen sehr gut deutsch sprechenden Rennradfahrer, einen Montegriner, der bereits das Mausoleum hinter sich hat und freut sich schon beim näherkommen darüber, dass ich Montenegro bereise. Nachdem wir wohl ein viertel Stunde gequatscht haben entschuldigt er sich, er würde sich am liebsten noch länger mit mir unterhalten, seine Frau warte aber bereits auf ihn und er habe noch 50 km vor sich. Ich nähere mich der steinernen, einen Großteil durch den Felsen führenden Treppe, als mir ein Mann entgegenkommt und 5 Euro Eintritt verlangt. Ich winke ab, denn 5 Euro fürs Treppensteigen bezahlen, für einen Dichterfürsten in einem Mausoleum, das auf den Grundmauern einer Kirche errichtet worden ist, die einem heilig gesprochen gewidmet war muss ich nicht haben und drehe um. Aber dann überlege ich es mir anders und der Wächter über den Zugang wohl auch, denn plötzlich kann ich ohne jegliches Zutun, als Student für nur 2,50 € die insgesamt 463 Stufen erklimmen. Das Mausoleum finde ich persönlich nun nicht so spektakulär, aber ich will da ja auch nicht liegen. Das Geniale da oben aber ist, dass man einen unglaublichen Rundumblick hat und ich gefühlt ganz Montenegro überblicken kann.
Nationaldenkmal Lovcen
Bevor ich anschließend wieder mein Motorrad besteigen kann, parkt ein Rollerfahrer mittleren Alters neben mir. Kurzes Kopfnicken als Begrüßung und da er ganz offenbar mein Kennzeichen gesehen hat, entsteht sofort ein Gespräch in englisch. Auch er freut sich, dass ich Montenegro bereise und will wissen wie mir Montenegro gefällt. Viel kann ich ihm ja noch nicht sagen, aber bis auf die Tatsache das Kotor mir nicht so gut gefallen hat, was ich nicht erwähne, freut er sich, als hätte ich ihm persönlich ein Kompliment gemacht. Von ihm erfahre ich dann auch, dass die Straße nach Cetinje eine Schotterpiste sei. Nachdem ich auf der später einmal breiten Straße einige hundert Meter gefahren bin kommt mir ein Auto langsam fahrend entgegen. Wenn der schon langsam fährt, brauche ich mich nicht zu verstecken. Ich halte ihn an und erfahre, dass die Schotterpiste etwa 5 km lang sei. Das sind ja gute Aussichten. Mittlerweile viertel vor 6, noch 17 km bis Cetinje und 5 km davon im Schneckentempo über eine Schotterpiste, auf der der Schotter noch nicht festgefahren ist. Nach etwa 2 km sehe ich auf der linken Seite eine Art Reha-Klinik, wenige hundert Meter weiter auf der anderen Seite ein Restaurant mit Hotel. Warum lange in Cetinje suchen, dann doch besser hier. Leider ist nur das Restaurant geöffnet, aber der Kellner gibt mir den Hinweis es doch ein paar hundert zurück zu versuchen, da könnte ich ein Zimmer bekommen. Rehaklinik?
Ich fahre vor und erfahre von der ersten überaus bemühten und freundlichen Mitarbeiterin die mir begegnet, dass ich ein Zimmer bekommen könne. Da ihr englisch aber nicht ganz ausreichend ist holt sie sich eine junge Frau zu Hilfe. Ich bekomme ein 3-Bett-Zimmer mit Küche, Terrasse mit Blick in den riesigen Garten, warmes Abendessen, das ich zuvor aus zwei Gerichten auswählen musste, und Frühstück zum bis dato günstigsten Kurs auf meiner gesamten Reise. Das Motorrad darf ich direkt neben dem Haupteingang abstellen, damit man es immer Blick habe und dann erfahre ich, falls ich noch Fragen haben sollte, dass ich mich ruhig an sie wenden könne und die junge Frau stellt sich als die Ärztin dieser Einrichtung vor.
Und dann erfahre ich, dass ich in einer Art Müttererholungsheim oder Eltern-Kind-Einrichtung gelandet bin. Vielleicht auch ein Heim für schwer erziehbare 2-jährige oder eine Mischung von allem. Väter sehe ich nur drei. Draußen steht angeschlagen "Rekreativno Edukativni Centar Lovcen" und ist damit zumindest auch keine Art Jugendherberge oder Hostel. Kurz vor dem Abendessen bekomme ich dann noch eine kleine Vorstellung dessen, was es bedeuten muss in einem Kindergarten beschäftigt zu sein. Für 5€ ist das Abendessen ganz okay. Es gibt allerdings nur Milch und Orangensaft. Zum Frühstück dann lauwarmen Pfefferminztee.
Ist es Schicksal, wenn man, wie ich, nach Verlassen des "Erziehungsheimes" etwas weiter erstmal einen Kaffee trinkt, weil der Pfefferminztee mich ein wenig an Kinderkrankenhaus aus meiner Jugend erinnert? Ist es Schicksal, wenn auf der kurvigen, abwärts führenden Straße jedes der vier entgegen kommenden Fahrzeuge meine Rechtskurven schneidet und im letzten Moment noch ausweicht? Oder ist es Schicksal, dass der fünfte Wagen es nicht schafft? Wäre ich ohne Kaffee weitergefahren, wären alle Fahrzeuge zumindest noch nicht an der jeweiligen Kurve, aber dann vermutlich andere. Die junge Frau zittert am ganzen Körper nachdem sich Koffer und Kotflügel berührten und ich das Motorrad nicht mehr halten kann und umkippe. Ich denke, sie wird in Zukunft nicht mehr schneiden und ich noch besser aufpassen müssen. Der nach dem Sturz in Braga/Portugal etwas veränderte Abstand zwischen Sturz Bügel und Tank war jedenfalls wieder ausgeglichen.
Das Schicksal meinte es jedenfalls wohl noch mal gut mit mir und hatte sich nur mal kurz in Erinnerung gerufen.
Kathedrale in Podgorica
Nach Podgorica, der Hauptstadt von Montenegro, fahre ich nur, weil ich eine Art Mediamarkt suche um Teile meines Equipments zu ergänzen. Die Stadt spricht mich nicht an, sehe aber im Vorbeifahren die sehenswerte "Millenium"-Brücke und halte für ein Foto an der Kathedrale. Mein Ziel ist das Felsenkloster Ostrog. Das Kloster ist in den Felsen gebaut worden wie in einen gewölbten Handteller und schließt mit der Fassade auch an der Felsenaußenwand ab. Da man nicht in die Tiefe bauen konnte sind alle Räume nur wenige Meter tief und teilweise gedrungen. Ich komme in eine winzige Kapelle in der der Pope steht, der kurz vor mir die wenigen Treppen vorausgegangen war. Er fragt mich etwas, deutsch oder englisch spricht er nicht, und ich verstehe nur das fragende "Christ?" Als ich nicke reicht er mir zum Orthodoxen Kuss ein Kreuz und anschließend eine Ikone. Ich bin aus der Kirche vor vielen Jahren ausgetreten, diese Situation wird daran nichts ändern, aber trotzdem war es schon eine bedeutende Geste für mich.
Kloster Ostrog
Mit derart Kirchlichem gesegnet hätte die Weiterfahrt eigentlich nicht mehr schiefgehen können. Hätte. Kurz vor Niksic ist die Hauptstraße in beide Richtungen gesperrt und ich höre später, dass es einen Motorradunfall gegeben haben soll. Die Umleitung erfolgt über eine kurvenreiche schmale Straße durch die Berge auf der auf halber Strecke plötzlich Gegenverkehr einsetzt und Chaos ausbricht, denn die Straße ist eigentlich zu schmal damit 2 Fahrzeuge sich problemlos begegnen können. Ganz offensichtlich hat man die Kraftfahrer beider Richtungen sich selbst überlassen. Nach etwa einer Stunde löst sich dann alles wieder auf.
Dunkle Wolken hatten schon im Stau angedeutet, dass sich ein Gewitter zusammenbraut und dafür gesorgt, dass ich nicht in praller Sonne stehen musste. Ich beschließe in Niksic zu übernachten. Manchmal kann Zeitverlust auch Zeitgewinn bedeuten. Neben der Tankstelle wo ich tanke steht ein Hotel in dem ich für 15 € ein Zimmer und im angrenzenden Restaurant für 11 Euro inklusiven 0,5 Liter Bier einen Grillteller bekomme. Abends wird dann aus dem Restaurant eine Disco mit für mich fremdartiger Musik. Die Frauen erscheinen aufgebrezelt, die Männer im legeren outfit.
Unterwegs:
Lost Place
Wenden in 17 Zügen. Was nicht ganz deutlich wird ist, dass der Weg etwa 60 - 70 cm hoch ist.
Tags: Montenegro, Balkan