Der Pamir muss warten
Adieu Duschanbe. Du warst mir Pflicht aber keine Kür. Auch wenn du die Schönste unter den Hauptstädten in Mittelasien sein sollst, so werde ich dich nicht vermissen.
Die Grenze nach Kirgisistan ist für Touristen seit ein paar Tagen wieder offen. Um eine Erlaubnis zum Grenzübertritt zu bekommen habe ich, wie man mit riet, an das Kirgisische Ministerium für Tourismus eine Email geschrieben. Danach will ich meinen Pass abholen, aber um 12 Uhr ist mein Pass noch nicht abschließend oder vielmehr überhaupt noch nicht bearbeitet worden. Der Pass wechselt daraufhin zwischen den beiden Schaltern hin und her und ich sitze davor und warte ab. Gut, dass die Klimaanlage wenigstens funktioniert.
In einer Stunde solle ich wiederkommen heißt es dann, während der eine Schalter schließt. Es fehle noch ein Foto, ein Stempel oder irgendwas. Na super, dann gehe ich am Besten erst einmal etwas essen. Das kleine Restaurant im Park gleich um die Ecke ist gut besucht. Ich bestelle das Gleiche wie am Nebentisch. Die Basis in der Holzschale bildet zerrissenes Brot, darüber flüssiger warmer Joghurt, kleingeschnittene Tomaten und Gurken, ein paar schmackhafte Fleischstücke und Kräuter. Eine leicht bekömmliche Zwischenmahlzeit für umgerechnet 1,25€. Anstelle einer Cola oder Pepsi bestelle ich mir diesmal eine Karaffe Kirschsaft.
Wenig später habe ich dann mein GBAO und meine Registrierung. Den Rest des Tages bummle ich durch die Gegend. Morgen geht es weiter.
Von Duschanbe aus gibt es zwei Möglichkeiten nach Kalaikhum an der afghanischen Grenze zu gelangen. Die südliche Route soll gut asphaltiert, aber auch eine Rennstrecke und in etwa 6 Stunden zu schaffen sein. Ich entschließe mich für die nördliche Route die laut einiger Berichte gerne von anderen Motorradfahrern oder Fahrradfahrern genutzt wird. Nach 100 km geht die gut asphaltierte Straße in Schotter über. Die Straße ist in einem schlechten Zustand. Google veranschlagt für die noch verbleibenden 200 km 6 Stunden, was im Grunde schon alles über den Zustand aussagt.
Unterwegs treffe ich ein Pärchen aus Russland mit ihrer vollgepackten Yamaha XT 660 Tenere. Ersatzkanister an den Seiten, obwohl schon 23 Liter Tank, Ersatzreifen für Vorder- und Hinterrad und noch so einiges mehr, was man braucht, wenn man zu zweit unterwegs ist. Wenn ich bedenke wie meine Tenere schon so manches Mal beim Einfedern in die Knie gegangen ist oder die Hinterradfelge Berührung mit den Rändern der Schlaglöcher hatte, dann wundere ich mich schon ein wenig. Sie erklärt mir auf englisch, dass ihr Mann weiter in die Mongolei wolle, sie aber nur bis Osh mitfahren und dann nach Hause fliegen werde. Dann zwängt sie sich auf den Soziasitz und schon sind sie wieder weiter.
Nach vier Stunden treffe ich sie am Fahrbahnrand stehend wieder. Das Hinterrad liegt auf dem Boden. Ich biete Hilfe an die aber nicht benötigt wird. Man zeigt mir den kaputten Schlauch. Kein Loch von einem Nagel oder einer Schraube, nein, der Schlauch weist zwei 1-2 cm lange Risse auf. Scheint offenbar geplatzt zu sein. War dann wohl doch etwas zuviel Gewicht. Ich werde sie wiedertreffen.
Kurze Zeit später, es sind laut Google nur noch 80 km oder knapp 2 Stunden bis nach Kalaikhum, habe ich die Nase voll. Es ist kurz nach 17 Uhr und ab 19 Uhr wird es langsam dunkel. Ich nehme mir in einem einfachen Hotel ein Zimmer mit Frühstück und kleinem Abendessen für umgerechnet 14 Euro. Eine Entscheidung, die sich noch als gut herausstellen wird.
Nach einem einfachen Frühstück geht es wieder auf die Schotterpiste. Es ist unglaublich wie sich 80 Kilometer ziehen können. Schnell wird aber auch klar, dass ich das am Abend zuvor nie geschafft hätte. Nach 55 km erreiche ich in 3250 m Höhe den Pass. Unterwegs habe ich atemberaubende Aussichten weit über die Berge hinweg. Ein paar Ziegenhirten die sich dort oben etwas abseits der Straße niedergelegt haben winken mir zu. Welch ein schöner Platz zum Rasten. Ich steige ab und setze mich auf einen Stein. Über mir kreist ein Adler oder zumindest könnte es einer sein.
Auf den letzten 35 km geht es dann stetig bergab. Die Schotterpiste lässt sich gut fahren.
Kati und Jeff, sie Deutsche, er Franzose kommen mir auf ihren Fahrrädern entgegen. Ich ziehe meinen Hut vor allen Bikern die sich auf eine solche Reise machen. Die beiden sind schon seit 2 Jahren unterwegs und hatten, da die Grenze nach Kirgisistan bei ihnen noch geschlossen war eine Runde durchs Pamirgebirge gedreht. Nun soll es über Usbekistan nach Kirgisistan gehen und dann langsam Richtung Deutschland/Frankreich. Das Einzige, das sie zeitlich begrenzt unterwegs sein lässt, so Kati, sei die Familienplanung.
Ich sehe ihnen noch ein Stück hinterher wie sie im Zeitlupentempo sich den Berg hinaufmühen und dann lasse ich den Motor an und rolle Richtung Kalaikhum. Mit Fotostopps und Smalltalk im Gebirge komme ich nach 5 Stunden in Kalaikhum an.
In Kalaikhum zu übernachten macht nur deshalb einen Sinn, weil 1,5 - 2 Stunden hinter Kalaikhum auf einem größeren Abschnitt umfangreiche Bauarbeiten, inkl. Sprengungen stattfinden. Die Straße ist von 7-12 Uhr und von 13-17 Uhr gesperrt. Mich in aller frühe auf den Weg zu machen habe ich nicht vor. Dann lieber um 12 Uhr an der Absperrung zu stehen und hoffen, dass ich bis abends in Khorogh sein werde.
Es ziehen dunkle Wolken auf. Seit Tagen die ersten Wolken überhaupt. Es soll die nächsten Tage Regenschauer geben. Seit 2 Stunden bin ich jetzt unterwegs. Die Strecke ist grauenvoll. Immer wieder Kurve um Kurve um steil aufragende Felsen bei meistens nur Schotter, Staub und Waschbrett. Zum Glück ist es teilweise bedeckt und so halten sich die Temperaturen in Grenzen.
Langsam beginne ich zu zweifeln ob ich rechtzeitig da sein werde wenn die Straße geöffnet wird. Die Straße zieht sich. Hier ist nichts außer Felsen zu beiden Seiten des hellgrauen Grenzfluss zwischen Tadjikistan und Afghanistan. Es ist bereits kurz nach 12 als mir dann mehrere Lkws entgegenkommen. Die Straße ist also geöffnet. Und dann komme ich um den nächsten Felsen und stelle fest, dass ich zu spät bin. 14 Lkws haben sich bereits auf den Weg gemacht, 14 Lkws, die ich auf den nächsten Kilometern, eingehüllt in Staub mühsam überholen werde.
Gelegentlich komme ich an einfachen Häusern vorbei. Immer wieder laufen Kinder, meist Jungen heran, wie früher, als der Eismann mit seinem Wagen um die Ecke kam und seine Glocke schwang. Sie winken oder halten mir zum Abschlagen die Hand entgegen.
Ein Leben im Grenzbereich, geht es mir durch den Kopf. Wie kann man in einer so trostlosen und teils staubigen Gegend leben, in der selbst alles Grün einen grauen oder manchmal beigen Belag aufweist. Welch ein Unterschied zum protzigen Duschanbe.
Als dann irgendwann auch Mädchen und Jugendliche unter den Winkenden sind bemerke ich, dass die Mehrheit der am Straßenrand stehenden Frauen auch keine Kopftücher mehr tragen.
60 km vor Khorogh deutet eine Tankstelle und schlechter Asphalt auf mehr Zivilisation hin, erwischt mich kurze Zeit später aber auch der Regen. Nach langer Zeit mal wieder Regen. Zu wenig um die Regensachen überzuziehen, zu viel um dann doch leicht durchgefeuchtet, aber noch rechtzeitig vor dem Dunkelwerden in Khorogh anzukommen.
Am ersten Hotel halte ich an, weil mehrere Motorräder davorstehen. Das russische Pärchen ist auch darunter und
5 junge Männer aus Malaysia, die am 14. Juli in Kuala Lumpur zu ihrer "Malaysia Madani Expedition" gestartet waren und am 14. Oktober in Berlin sein wollen.
Nach einer guten Nacht soll es heute entspannt weitergehen. Für die heutige 220 km lange Etappe berechnet Google 6 Stunden, ich rechne dann besser mit 7-8 Stunden.
Als ich zum Frühstück komme steht die Gruppe aus Malaysia und auch das russische Pärchen bereits abfahrbereit bei ihren Motorrädern. Zwei Pärchen aus Frankreich die mit ihren Off Road Campern unterwegs sind frühstücken auch schon.
Ich erfahre, dass etwa 60 km hinter Khorogh eine erneute Straßensperrung sein wird. Geöffnet bis 9 Uhr und von 12-15 Uhr. Wäre ich gestern nicht so kaputt gewesen, hätte ich diese Info vielleicht schon früher gehabt. Hätte. Wäre ich ausgeschlafener gewesen, wäre mir an der Schilderung etwas aufgefallen.
Ich gehe jedenfalls davon aus, dass 12 Uhr für meine heutige Etappe definitiv zu spät wäre und jetzt hastig alles zusammenpacken, dazu habe ich einfach keine Lust.
In den letzten drei Tagen habe ich für die 540 km seit Duschanbe über 20 Stunden im Sattel gesessen und überwiegend Schotterpiste erlebt. Mein Körper meldete gestern Abend schon leichten Protest an. Ich werde auf ihn hören und bleibe einen Tag länger.
Später stellen sich erste Zweifel ein, da ich gehört hatte, dass es auf dem Highway einen Baustelle geben soll. Ich frage also im Hotel noch einmal explizit nach einer Sperrung Richtung Waghan Korridor, aber man weiß nichts von einer Sperrung, verweist mich zur Sicherheit aber an die Polizei. Auch dort Kopfschütteln und langsam wird mir klar, dass es um den Highway ging, der ebenfalls in Khorogh abzweigt und nicht um die südliche Route entlang der Grenze.
Meinem Körper ist das egal, er freut sich über den Ruhetag. Ich schlendere durch Khorogh, esse an einem einfachen Stand zu Mittag im Vertrauen darauf, dass sich das nicht durchschlagen wird und überprüfe danach mein Motorrad. Auf der Waschbrettpiste war das Rücklicht abgefallen. Ich stelle fest, dass ich die nur Millimeter kurzen, abgerissenen Kabelenden nicht reparieren kann. Ich werde deshalb wohl oder übel ohne Brems- und Rücklicht weiterfahren müssen.
Ich verlasse Khorogh in Richtung Langar, wo ich die nächste Übernachtung eingeplant habe, und muss schon bald die Regenjacke überziehen. Der Regen ist dann aber nicht von langer Dauer.
Blick auf Afghanistan
Auf schlechtem Asphalt komme ich gut voran. Immer mal wieder halte ich an und fotografiere, so auch etwa 5 km vor Ischkoschim. Danach springt das Motorrad nicht mehr an. Das Display leuchtet aber der Anlasser startet nicht.
Gemeinsam mit den Insassen eines SUV versuche ich das Motorrad anzuschieben aber ohne Erfolg.
Man nimmt mich mit nach Ischkoschim. Dort kann ich bei einer Art "Do it yourself" Auto Werkstatt, die überwiegend lediglich aus einem Überdach und einer Auffahrrampe besteht, einen Transport organisieren. Nachdem der LKW aus Sowjetzeit mühsam per Kurbel gestartet werden kann, fahren wir zum Motorrad. Wir schieben das Motorrad auf eine Anhöhe und über die herabgelassene Ladeklappe bekommen wir das Motorrad geradeso auf den hohen LKW. Erste Versuche zu reparieren und Fehlersuche verlaufen danach allerdings negativ.
Mein Schrauber Frank aus Deutschland stellt am Abend telefonisch erneut seine Kompetenz unter Beweis und vermutet einen Defekt am Seitenständerschalter oder Anlasserrelais.
Nach einer unruhigen Nacht in einem sehr einfachen Guest House versuche ich mein Glück, überbrücke den Schalter des Seitenständers und schließe eine bessere Batterie an. Beim ersten Versuch nudelte sie, doch dann ist wieder Feierabend. Das Überbrücken des Anlasserrelais führt zu erneutem Nudeln, doch sie springt nicht an.
Nun also doch ein Transport nach Duschanbe, wo es eine Werkstatt gibt die mir helfen könnte und von wo aus auch ein möglicher Rücktransport nach Deutschland besser organisiert werden könnte.
Der Transport nach Duschanbe kann nur in Etappen erfolgen. Erste Etappe wäre bis Khorogh. Lkw-Fahrer die ich fragen könnte fahren frühestens ab Khorogh in Richtung Duschanbe, also bleibt vorerst nur der Pick-up. Ich kann den Fahrer auf 2500 Somoni runterhandeln, habe aber nur noch 1500.
Damit wäre auch die Krönung meiner finanziellen Probleme erreicht seid ich in Tadschikistan bin. Es gibt genügend ATM, es steht auch dran, dass man Visa akzeptiere, aber sie funktionieren nicht. Hier in Ischkoschim jedenfalls nicht und in Kalaikhum und in Khorogh auch nicht. Jedenfalls nicht immer. Woher also Geld nehmen. Ich überlege bereits bei nächster Gelegenheit meine Drohne zu verkaufen. In Duschanbe gab es an den dortigen ATM jedenfalls keine Probleme.
Natürlich frage ich mich, ob ich nicht mehr Geld hätte abheben sollen als es möglich war. Nachdem ich in Kalaikhum und Khorogh keine funktionierenden Bargeldautomaten mehr finde, kann ich nur einen Teil meiner letzten Euro umtauschen, weil man nur absolut einwandfreie, im Grunde fast neuwertige Geldscheine akzeptiert. Dennoch hätte es für den Pamir und bis zur Grenze nach Kirgisistan im Grunde bestens ausgereicht.
Aber irgendwie wird es eine Lösung geben.
Die kommt dann auch in Form meines Automechanikers mit seinem Russenbomber. Er fahre morgen in die Nähe von Khorogh und könne die Fahrt für 1000 Somoni übernehmen. Außerdem erfahre ich, dass es in Khorogh eine kleine Werkstatt geben solle, die mir eventuell weiterhelfen könne. Der dortige Mechaniker wisse schon Bescheid.
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