Von Karakol aus war mein Plan südlich ins Gebirge und dann in einem insgesamt 270km langen weiten Bogen erst nach Englichek und dann nach Osten, entlang der Grenze zu Kasachstan zum dortigen Grenzübergang nach Kasachstan zu fahren. Bin ich auch, aber anders als gedacht.
Am letzten Tag in Karakol treffe ich die beiden aus Fürth und Prag kommenden Brüder Tobias und Martin, beide um die 60, und deren Sohn bzw. Patenkind Jonathan. Sie hatten genau wie ich ihre Motorräder Anfang Mai mit der gleichen Firma nach Bishkek transportieren lassen und hatten die gleichen Erfahrungen bezüglich der angeblich konfiszierten Gegenstände gemacht. Sie waren bereits in Bishkek als die Motorräder dort ankamen und fuhren anschließend nach Usbekistan und über den Pamir wieder zurück nach Kirgistan. Seitdem am Pamir ein Motorrad ausgefallen ist fahren sie auf zwei Motorrädern weiter. Da sie am nächsten Tag den gleichen Weg wie ich fahren wollen beschließen wir gemeinsam zu fahren und verabreden uns für den Abend im Fischrestaurant. Tobias erzählt, dass er im letzten Jahr die anstehende Route bereits mit einem Guide in einem SUV befahren habe und so begeistert gewesen sei, dass er seinen Bruder und seinen Sohn zu dieser Reise animieren konnte. Ein beruhigendes Gefühl im Grunde einen Guide dabeizuhaben.
Um 10 Uhr treffen wir uns an der Tankstelle und fahren los. Unser Ziel ist das 150 km entfernte in den Bergen Richtung chinesischer Grenze in 2500 m Höhe befindliche Englichek. Englichek wurde von den Sowjets als Bergarbeiterdorf gegründetes aber nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht weitergebaut. Zwischen den hohlen Plattenbauten haben sich in den Folgejahren dennoch Menschen niedergelassen und kleine Häuser gebaut.
Chon Ashuu Pass
Erst auf Schotter und über den 3860 m hohen Chon Ashuu Pass erreichen wir nach 110 km bei einem Abzweig den ersten Kontrollpunkt und müssen unsere Pässe und Permits vorzeigen. Morgen werden wir dort erneut ankommen dann aber den Abzweig fahren.
Auf einer teilweise aufgebrochenen Betonplattenpiste erreichen wir Englichek.
Wir fahren über eine rudimentär vorhandenen Landebahn weiter Richtung Osten und tiefer ins Tal hinein.
Nach einen kleinen Kontrollposten und etwa 25 Kilometer weiter schlagen wir nahe des vorbeirauschenden gleichnamigen Gebirgsflusses unsere Zelte auf. Kleines Lagerfeuer. Bierdose in der Hand. Männerromantik. Alles passt nur leider nicht, dass Ich vergessen hatte den Zündschlüssel abzuziehen bzw. die Zündung auszuschalten. Irgendwo im Nirgendwo knapp 30 km von der chinesischen Grenze entfernt.
Nach einer kalten Nacht, Raureif liegt auf den Motorrädern, starte ich das Motorrad doch es bleibt still. Nur mit einem Kaffee gestärkt schieben wir das Motorrad etwa 150 m zurück auf den Weg, bzw. das was man als Fahrspur erkennen kann, geben dann aber das Anschieben nach mehrmaligen Fehlversuchen auf. Erst das Anschleppen mit hintereinander verbundenen Zurrbändern führt zum Erfolg. Gott sei Dank, denn ich hatte mir schon vorgestellt wie sich hier ein Abschleppen organisieren ließe. Das Motorrad geht jedoch wenig später im Leerlauf wieder aus. Erneutes Anschleppen und dann fixieren des Gasgriffs bei 2000 Umdrehungen. Wir bauen unsere Zelte ab, mein Motorrad steht allerdings fast 100 m entfernt. Als ich mit einem Teil meiner Sachen bepackt erneut am Motorrad ankomme stelle ich fest, dass die gelbe Motorkontrolllampe und die Temperaturlampe leuchten. Ich weiß nicht wie lange schon und schalte die Zündung aus. Heißes Wasser schießt für einen kurzen Moment aus dem Kühlerverschluss und Dampf steigt auf. Ich packe weiter zusammen, schleppe alles nach und nach zum Motorrad und belade es. Ich kontrolliere den Kühlwasserstand im Ausgleichsbehälter. Erneutes Anschleppen. Dann geht es zurück nach Englichek. Bereits beim Herannahen an den Kontrollpunkt leuchtet die Temperaturlampe auf, bei niedrigen Umdrehungen wenig später auch die Motorkontrollleuchte. Der Grenzer ist jedoch schnell da um das Tor zu öffnen und ich kann wieder Fahrt aufnehmen. Wenige Kilometer hinter Englichek befindet sich eine heiße Quelle. Auf einem Schotterweg geht es erst stetig leicht bergauf um dann von einem kleinen Plateau aus steil zur unten am Fluss liegenden und bereits von oben zu sehenden Quelle abzufallen. Zu steil für mich und auch Tobias bleibt zurück. Mein Motorrad geht aus. Danach warten wir auf die Rückkehr der beiden anderen. Bevor wir erneut anschleppen vereinbaren wir, dass ich vorausfahre, hinter dem Abzweig an einer günstigen Stelle anhalte, während die drei in Englichek die Wasservorräte auffüllen, da für unterwegs eine weitere Übernachtung erforderlich sein wird.
Nach der Abzweigung geht es entlang des rechts unten fließenden Flusses anfangs auf schmalem Weg über Schotter, dann schmaler werdend auf Schotter der übelsten Art und rauf und runter. Steinbruch mit faustgroßen Steinen, wie herausgefressen aus der steil aufragenden Felsen zur Linken, etwas verdichtet durch das Befahren gelegentlich fahrender Fahrzeuge. Die Temperaturanzeige hat kurz zuvor wieder zu leuchten begonnen. Ein kilometerlanger Streckenabschnitt scheint weniger der Versorgung in den Bergen Lebender zu dienen, denn die gibt es hier im Grunde nicht, sondern eher ein Weg für Abenteurer zu sein. Längere Zeit gibt es wenig Möglichkeiten anzuhalten geschweige denn ein Zelt aufbauen zu können. Jetzt bloß keinen Gegenverkehr, denn ein Ausweichen wäre absolut nicht möglich. Es geht bergauf. Das Hinterrad gräbt sich fast in den Schotter. Den Lenker fest im Griff, um das tänzelnde Vorderrad zu bändigen, treibe ich das Motorrad die Anhöhe hinauf. Das Vorderrad springt auf einem größeren wegrutschenden Stein zur Seite, beginnt zu schlingern. „Sch…“, kann es aber fangen. „Komm!“ „Komm!“ „Komm!“ „Es geht!“, „Es geht!“, und erreiche eine kleine Kuppe. Dann geht es wieder runter, hinter der nächsten Kurve so weiter und das über ein paar Kilometer. Irgendwann komme ich dann zu einer in der Biegung des Flusses gelegenen kleinen erhöhten Rasenfläche, bestens geeignet dort auch zu übernachten. Als nach mehr als einer Stunde noch nichts von den anderen zu sehen ist baue ich mein Zelt auf. Möglich, dass sie annehmen ich sei so weit es geht durchgefahren und haben irgendwo hinter mir ihre Zelte aufgeschlagen Dann werden sie morgen irgendwann an mir vorbeikommen. Dumm nur, dass ich den ganzen Tag noch nichts gegessen und kein Wasser mehr habe um mir wenigstens meine Nudeln zu kochen.
Und dann kommen sie doch noch. Sie hätten eine längere Pause gemacht und tatsächlich irgendwann gedacht ich sei weitergefahren. Auch sie sind ziemlich geschlaucht. Mit selbstgemachtem Pilzrisotto aber ohne Bier und Lagerfeuer geht ein anstrengender Tag zu Ende. Eine fast schon verwegene Idee entsteht. Jonathan meint warum ich die Royal Endfield nicht übernehmen wolle wenn alle drei in wenigen Tagen ihre Reise in Bishkek wieder beenden werden. Die Ténéré könne anstelle dieser mit den beiden anderen Motorrädern von Tobias und Martin nach Deutschland zurückgebracht werden und ich meine Reise fortsetzen. Eine tatsächlich verlockende Idee. Könnte ich aber mit einem Motorrad das nicht auf mich zugelassen ist die folgenden Grenzen passieren? Würde ein entsprechendes Schriftstück, auch beglaubigt und übersetzt, zum Beispiel an der russischen Grenze akzeptiert?
Die Sonne scheint, erneut liegt Raureif auf den Motorrädern. Wir bauen die Zelte ab. Manchmal hat man nur einen Versuch, also warte ich bis zuletzt. Die Batteriespannung liegt mittlerweile schon wieder bei 11,4 Volt. Zu wenig, obwohl sie schon Anstalten macht zu starten, also erneutes Anschleppen. 35 km nach dem Abzweig machen wir eine geplante Pause. Die Temperaturanzeige hatte kurz zuvor abermals zu leuchten begonnen.
Nur noch die in Sichtweite liegende, allerdings etwas länger wirkende, dafür aber relativ modert ansteigende Strecke die nächste Anhöhe hinauf, danach ginge es meist langsam abfallend aus den Bergen hinaus bis zum nächsten Kontrollpunkt, sagt Tobias und so ist es dann auch. Das Motorrad springt erstmals wieder von allein an, die Temperaturanzeige bleibt vorerst aus. Am Kontrollpunkt warte ich auf die anderen, dann geht es weiter. Ich will nur noch raus aus den Bergen, habe keine Lust mehr auf Schotter. Meine Nerven liegen blank und das anstrengende Fahren zerrt an meinen Knochen. Ein frischer Wind bläst mir angenehm entgegen. An einer rauschenden Flussbiegung mit leicht abfallendem Weg, für den Fall der Fälle, halte ich an und ruhe mich aus. Wenig später kommen auch Tobias, Martin und Jonathan. Noch ein Grenzposten und dann essen wir in einem Restaurant an der Straße für uns frisch gefangene Lachsforellen.
Bevor ich allerdings daran denken kann meine geplante Reise fortzusetzen, muss eine neue Batterie besorgt und das Problem mit der Temperatur geklärt werden. Gemeinsam fahren wir zurück nach Karakol und übernachten im gleichen homestay in dem ich zuvor schon übernachtet hatte. Kurz zuvor leuchtet die Kontrollleuchte wieder auf. Es wird wohl mal wieder auf einen Aufenthalt in Bischkek hinauslaufen. Selber Schuld.