Ein Mann der sich' n Wolf ritt

Ein Mann der sich' n Wolf ritt

Kotschkor ist von Naryn etwa 120 km entfernt. Man benötigt dafür etwa 90 Minuten oder schon mal 10 Stunden., aber eigentlich wollte ich da gar nicht hin.

In Tasch Rabat hatte ich beschlossen nicht mehr Richtung chinesischer Grenze zu fahren, denn inklusive der einen Woche 2023 in Osh und den zwei Wochen im letzten Jahr in Bishkek, halte ich mich gefühlt mittlerweile schon zu lange in dieser Gegend auf. Zum Anderen scheint es als regnet es hier, zumindest im Augenblick, mehr als im Rest des Landes und möchte ich mal auch ein gutes Stück vorankommen. Mein Weg führte mich damit  fast zwangsläufig wieder an Naryn vorbei. Mein Plan war auf dem schnellsten Weg, in diesem Fall über die Hauptstraße, an den Yssykköl-See zu kommen. Kein Offroad sondern einfach mal nur Asphalt. Aber das war gestern. 

Meine Tourer-App kennt dann aber tatsächlich eine Abkürzung, diesmal allerdings durch die Berge. Vor ein paar Tagen hatte ich mich schon mit der Route beschäftigt und fand das Höhenprofil und auch die Distanz von nur etwa 170 km ansprechend. Nach etwa 90 km gibt es eine Abzweigung ab der ich laut App in komfortabler Zeit an den See kommen solle. Um kurz nach 10 Uhr sitze ich im Sattel, in Gedanken schon am Nachmittag ein Ankommbier in der Hand haltend.

Nach einer anfangs relativ entspannten Fahrt auf unbefestigter Straße geht es dann die nächsten etwa 30 km teils rauf, teils runter, mal rechts mal links aber stetig auf schmalem Weg nach oben. Eine mit Holzplanken belegte Brücke überquert nach 55 km den hier noch schmalen Fluss Naryn. Kurz dahinter frage ich bei einer Jurte zur Sicherheit nach der Qualität und den Verlauf der Straße. Ein junge Mann macht eine sich vorwärts bewegende wellenförmige Handbewegung und meint „normal“. Ich muss schmunzeln. Recht hat er, was habe ich eigentlich erwartet? Dann bittet man mich Platz zu nehmen und reicht mir eine Schale Stutenmilch.  Die junge Frau entschuldigt sich, dass ihr deutsch so schlecht sei, muss ihr aber in Anbetracht meiner eigenen Englischkenntnisse widersprechen. Die weitere Unterhaltung ergibt sich aus denn fast schon üblichen Fragen wie, woher ich käme, wohin ich wolle, wie mir Kirgistan gefalle, ob ich Kinder habe und wie alt ich sei. Zwischendurch übersetzt sie der älteren Frau, möglicherweise ihre Oma. Sie möchte mir nachschenken, doch ich lehne dankend ab. So langsam gewöhne ich mich zwar an den leicht säuerlich aber erfrischenden Geschmack, allerdings ist die Stutenmilch fermentiert und enthält somit etwas Alkohol. Wieviel weiß ich natürlich nicht und deshalb halte ich mich lieber zurück.  Sie erzählt mir dann, dass sie immer mal wieder Motorradfahrer sähe die zu zweit oder mit mehreren unterwegs seien und zeigt sich ein wenig überrascht, dass ich allein reise. Nach etwa 20 Minuten werde ich dann mit einem ausdauerndem Winken verabschiedet. 

Vielleicht ist es genau das, was das alleine Reisen ausmacht. Man ist nur sich selbst verpflichtet und wird daher im Vorbeifahren nicht nur gesehen, sondern beim Anhalten auch wahrgenommen, zumal der Fokus beim Alleinreisen nicht selten ein ganz anderer sein dürfte. Nichts gegen Reisen zu zweit oder mit mehreren, was ich natürlich auch mag.  Philosophie aus. 

Die Herausforderungen die Straße oder besser den Weg betreffend sind tatsächlich weitestgehend "normal" und auch nach der Abzweigung verläuft die Strecke die folgenden etwa 50 km auf relativ gleichmäßig bleibendem Niveau. Ab und zu weiche ich auf parallel verlaufende Erdspuren aus. Wieder einmal bin ich froh nicht die Asphaltstrecke genommen zu haben sondern erneut in eine immer wieder faszinierende Landschaft einfahren zu dürfen.

Die Sonne scheint, was will ich mehr, obwohl rechts und links hinter mir und den Bergrücken langsam dunkle Wolken auftauchen die nichts Gutes erahnen lassen, aber weit genug weg sind um eine Bedrohung darstellen zu können. Ich halte an. Die Stutenmilch scheint ihre möglichen Wirkungen entfalten zu wollen, doch falscher Alarm, es kann weitergehen. Ich fahre an drei aus Frankreich kommenden Offroad-Campern vorbei. Noch 25 km dann bin ich am Ziel.

Wäre da nicht ein aus den Bergen kommender, in einem breiten Kiesbett fließender, zwar schmaler aber dafür recht reißender Fluss. Ich stelle das Motorrad ab und ahne, dass das nichts werden wird. Ich teste dennoch die Wassertiefe und habe Schwierigkeiten mich auf den Beinen zu halten. Meine Stiefel laufen voll, das reißende Wasser reicht mir bis kurz unters Knie. Nach einem kurzen Hin und Her zwischen dem weißen Engel auf der einen und dem roten Teufelchen auf der anderen Schulter gewinnt Weiß. 


von der anderen Seite nähert sich ein Hirte mit seiner Pferdeherde. Etwas flussaufwärts überqueren sie den Fluss und haben erkennbar ihre Schwierigkeiten, ein paar Fohlen scheinen fast zu straucheln. Der Hirte zeigt sich verärgert, da ich offenbar an der Stelle stehe wo er beabsichtigt hatte seine Herde rüberführen zu wollen, vermutlich weil das "Ufer" flacher ist.

Von den Franzosen erfahre ich dann, dass  man mir zwar hinüberhelfen könne, ich aber nach etwa 2,5 Kilometern vor einem ähnlichen Problem stehen werde. Die dunklen Wolken haben mich eingeholt ziehen aber nicht weit entfernt wieder ab.

Es ist kurz vor 15 Uhr und das Bier in weite Ferne gerückt. Dafür habe ich mit Wasser vollgesaugte Innenstiefel. Nun heißt es Gas geben damit ich hier nicht übernachten muss, denn die nächste Welle dunkler Wolken kommt bereits mit vom nahen Bergrücken fallenden Winden bedrohlich nahe. 

Auf den Erdspuren lässt es sich deutlich schneller fahren und so übersehe ich den Abzweig. Die Spuren führen etwas den Berg hinauf und ich erkenne am Navi, dass ich etwas abgekommen bin. Hinter der nächsten leichten Linkskurve komme ich wieder auf den keine hundert Meter entfernten ursprünglichen Weg zurück. Falsch gedacht. Dann vermutlich hinter der nächsten. Wieder falsch. Ich komme gut voran dennoch habe ich das Gefühl in einer Sackgasse zu landen. Die dunklen Wolken hängen direkt neben mir am Bergrücken, die ersten Tropfen fallen, der Wind nimmt zu. An einer Jurte deutet mir die Frau in einem weiten Halbkreis an, dass ich zurück müsse. Also etwa 3 km. Ich muss hier aus den Erdspuren raus und zum schotterweg, alles andere ist mir egal. Nur noch wenige 100 Meter steht eine ziemlich große Schafherde mir im Weg. Die Hirten sind aber scheinbar nicht bereit für Platz zu sorgen, sondern deuten an, dass ich den Hang hinunterfahren könne. Ich traue dem Braten nicht, denn ob ich wirklich ohne Probleme auf den Weg treffen werde und nicht ein Steinwall oder tiefer Graben das Erreichen unmöglich macht kann ich nicht erkennen. Ich hebe achselzuckend beide Arme. Der Hirte fragt nach einer Zigarette, was ich jedoch verneinen, aber etwas, das ich ändern muss. Er schüttelt den Kopf und reitet dann voran. 

Rundherum blitzt es, nimmt das Grauen seinen Lauf und erwäge ich bereits mich mit dem Überdach meines Zeltes vor dem Meisten zu schützen. Und dann fängt es an. Ich lebe in Norddeutschland und kenne mich daher mit den Wetterbedingungen in den Bergen nicht so aus. Zwar kann ich erkennen wenn dunkle Wolken aufziehen, wie schnell und mit welchen Auswirkungen aber eher nicht. Es wundert mich deshalb, dass im Gegensatz zu den dunklen Wasservorhängen weiter vor mir, das meiste Wasser offenbar mehr oder weniger halb über mir am Bergrücken abgeht und nur ein Teil auf der Straße vor mir ankommt. Nach etwa 15 Minuten lasse ich den Regen bereits wieder hinter mir. Nun habe ich aber ein anderes Problem. Mit deutlich verringerter Geschwindigkeit schliddere ich das eine und andere mal dahin. Irgendwann komme ich wieder zum Abzweig und hinter der nächsten Kurve, hinter dem nächsten Berg scheint dann wieder die Sonne.

Was dann auf etwa 10 Kilometern kommt sucht Seinesgleichen. Eine dunkle Erdstraße auf deren etwas höher gelegenen und festeren Fahrspur sich ein Schlagloch nach dem nächsten aufreiht. Den Schlaglöchern auszuweichen hieße in die Matschspur daneben zu geraten und deshalb nehme ich im Grunde fast alle vor liegenden Schlaglöcher mit. Irgendwann ist auch dieser Spuk vorbei und nach einigen schneller befahrbarem Kilometern Schotter, die Sonne neigt sich langsam dem Horizont entgegen,, treffe ich auf Asphalt. Ach wie schön kann Asphalt sein. "Ich liebe Asphalt!". 

Nach etwa 15 km war dann wohl das Geld alle und ist der Spaß wieder vorbei. 90 Minuten später erreiche ich, 10 Stunden und 330 km nachdem ich Naryn verlassen hatte, Kotschkor. Mir brennen der Hintern und der Nacken, meine Kupplungshand schmerzt, mein Magen knurrt und und meine Füße wollen nur noch raus aus dem Sumpf meiner Stiefel. Eine Massage wäre jetzt genau das richtige. Okay, man kann nicht alles haben, dafür aber für 7 € in einem Homestay ein Doppelzimmer für die Nacht und gleich um die Ecke für 9 € ein T-Bone-Steak. Was will man mehr und was war das für ein Tag. Morgen fahre ich auf Asphalt an den Yssykköl-See, komme was da wolle und werde ich erstmal meine Internet Probleme lösen lassen müssen.