Ja, ich fahre lieber bei Sonnenschein als bei Regen. Und seit ich vor drei Tagen in Naryn angekommen bin regnet es ununterbrochen.
Schon in Kyzart zeichnete sich ab, dass es nicht unbedingt besser werden wird und so ist vorerst nur ein kleiner Bummel in der näheren Umgebung der sehr zentral liegenden Unterkunft möglich. Die restliche Zeit chille ich. Zwar habe ich heute morgen einen Versuch unternommen weiterzukommen, als ich aber die ersten hundert Meter Offroad mehr in Pfützen unterwegs war, mir ein paar bis auf die Windschutzscheibe dreckige 4WD entgegenkommen sind und ich mir gut vorstellen konnte wie ich nach kurzer Zeit aussehen dürfte, drehte ich um und checkte erneut ein.
Die Sonne scheint. Na dann Nix wie los. Aber wohin? Ein ganzes Stück auf asphaltierter Straße Richtung Süden nach Tasch Rabat einer alten Karawanserei und dann über den Torugart Pass weiter zur chinesischen Grenze und von dort in den Tian Shan, auf deutsch Himmelsgebirge, der Kirgistan von China trennt, oder doch nochmal den Songköl See versuchen. Es ist noch früh, warum also nicht.
Obwohl Google die Straße nicht kennt und mich weiter schicken will folge ich bei einem Abzweig dem Hinweisschild und zwei Fahrzeugen, einer davon ganz offenbar kein 4WD. Die von Google vorgeschlagene Straße scheint deutlich länger, also warum nicht den Locals vertrauen. Auf breiter, unbefestigter und größtenteils sehr gut zu befahrener Straße geht es langsam ansteigend in die Berge. Eine fast unbeschreibliche Landschaft öffnet sich mir. 30 km geht vorbei an einzelnen Jurten der Nomaden, an Pferdeherden und gelegentlich winkenden Kindern. Ich nähere mich einer dunklen Wolkenwand, werde aber, außer leicht über den Kamm wehenden Tropfen, nicht wirklich nass.
Doch dann stehe ich vor einer schier bis den Himmel reichen zu wollende Wand an der ich offenbar hoch muss. Später erfahre ich, dass diese Strecke „33 Parrots" genannt wird, warum allerdings sofort. Ob es 33 Haarnadelkurven sind habe ich nicht gezählt aber steil ziehen sie sich den Berg hinauf. Manchmal kann ich an den weiter oben gelegentlich auftauchenden Fahrzeugen erkennen wie der Streckenverlauf zu sein scheint. Als ich dann endlich oben stehe und hinunter blicke bin ich froh, dass es da noch die von Google vorgeschlagene Strecke für den Rückweg gibt. Sowas hab ich auf Schotter noch nicht gehabt, möchte ich mir für den Rückweg auch gern ersparen.
Nach einer kurzen Fahrt über das Hochplateau komme ich zum Songköl-See. Obwohl sehr touristisch checke ich in einem Jurt-Camp ein. Meiner ersten Nacht in einer Jurte steht nichts mehr im Weg, allerdings merke ich, dass ich mich bezüglich der Höhe über dem Meeresspiegel noch etwas akklimatisieren muss. Das Yurt-Camp hat augenscheinlich alles um autark sein zu können. Toiletten und Duschen stehen in punkto Sauberkeit und Standard dem eines europäischen Mittelklasse Campingplatzes im Grunde in nichts nach, dafür aber auch in den Preisen nicht.
Ich schlendere durch das Camp und bleibe vor der Küchen-Jurte stehen. Neugierig werfe ich einen Blick hinein. An einem Tisch in der Mitte sitzen drei Frauen und bereiten offenbar das Abendessen vor. Sofort winkt man mich lachend herein und bietet mir einen Platz und einen Tee an. Dann kommt die junge Frau hereinkommt, die meinen Check-in vorgenommen hatte. Nach einem kurzem Wortwechsel zwischen den Frauen kommt allgemeines Lachen auf und dann fragt sie mich, ob ich eine Frau habe. Obwohl ich verneine lässt man mich wenig später ohne weiteres aber wieder gehen.
Zwei kleine Gruppen Japaner treffen ein und nehmen nicht nur fast alle Sitzplätze sondern mit mehrfach ineinander gesteckten Mehrfachsteckdosenwürfeln auch die wenigen vorhandenen Wandsteckdosen ein. Talib (58) ist der Fahrer der einen Gruppe. Er sei Ingenieur gewesen und jetzt im Ruhestand, bekäme 180 $ Rente und sei ein leidenschaftlicher Sammler von Wanduhren und zeigt mir ein Video aus seinem Haus in dem sich an den Wänden über 100 verschiedene Wanduhren befinden. Eine Kuckucksuhr sei auch darunter, ja und ein Freund von ihm habe 5 Frauen mit denen dieser unterschiedlich viele Kinder habe. Was man nicht so alles erfährt.
Apropos Japaner. Warum trägt man morgens um 6 Uhr, an einem Gebirgssee in 3000 m Höhe, allein auf einer Wiese, bei seiner Morgengymnastik einen Mundschutz?
der Ofen wird angemacht
Es wird schnell dunkel und so ziehe ich mich in meine Jurte zurück. Der kleine Ofen produziert eine unglaubliche Wärme. Eigentlich zu viel. Ich schwitze, liege auf dem Bett und komme mir vor wie in einer Sauna. Herunterdrehen kann man den Ofen nicht. Fenster gibt es auch nicht, aber die Tür einen kleinen Spalt öffnen geht so gerade. Um 1 Uhr liege ich immer noch in der Sauna. Um 3 Uhr ziehe ich erstmals die Decke über den Bauch. Um 5 Uhr weckt mich dann ein leichtes Frösteln. Die Sonne geht auf. Ich trete vor die Jurte. Frische 8 Grad, gefühlt weniger, und ein wolkenloser Himmel empfangen mich. Als ich wieder hineingehe spüre ich die noch leicht vorhandene Wärme.
Eine kleine Gruppe aus Thailand packt zum Frühstück ihre „Nahrungsergänzungsmittel“ in Form von Chipstüten oder ähnlichem aus und drei deutsche Freunde im Spätherbst ihres Lebens befinden sich noch einmal gemeinsam auf Adventure Tour.
Ich packe meine Sachen und mache mich auf den Weg nach Tasch Rabat.
Das wäre dann die vierte Route die ich nun zum See hin- bzw. zurückfahre. Es ist zu gleich die einfachste, fahren hier sogar Minibusse. Als ich wieder auf Asphalt treffe nennt mir Google eine Route nach Tasch Rabat die mit 4 Stunden Fahrzeit nicht nur über Naryn ginge sondern auch 220 km lang ist. Ein Hinweisschild hat mit 120 km einen anderen Vorschlag, allerdings durch die Berge und von einer Zeit steht natürlich auch nichts dabei Blöd, dass ich keinen Internet Empfang habe. Ich frage mich also durch bis ich die richtige Abzweigung gefunden habe. 80 km durch die Berge liegen nun vor mir. Tiefer in den Bergen frage ich nach einer Abzweigung bei einer Jurte erneut und werde anschließend noch auf einen Schluck Stuten Milch eingeladen.
Wenig später kommen die unvermeidbaren Spitzkehren. Oben angekommen haut mich der weite Blick in die Landschaft fast um. Das wäre mir auf der anderen Straße verborgen geblieben.
Ich passiere anschließend in 3380 m Höhe den Mels Pass und fahre lange Zeit gefühlt kreuz und quer durch die Berge. War der Anstieg mal wieder eine kleine Herausforderung, so ist die Abfahrt ausgesprochen entspannend weil langsam abfallend. Unweigerlich komme ich dann auf die von Google vorgeschlagene Strecke, eine von Naryn zur chinesischen Grenze fast gradlinig verlaufende Schnellstraße auf der mehr Lkw als ein Pkw unterwegs sind. Wenige km später dann der Abzweig zum kirgisischen Kulturgut Tasch Rabat, eine aus der Zeit der alten Seidenstraße stammende und noch gut erhaltene Karawanserei.
Die Fahrt durch die Berge dauerte dann in etwa genau so lange wie die von Google vorgeschlagene Strecke. Ich habe also alles richtig gemacht.