Wenn es anders kommt als man denkt

Wir wussten, dass es aufgrund des ständig schwelenden Konflikts zwischen Aserbaidschan und Armenien aufgrund der letzten kriegerischen Auseinandersetzungen im Mai 2021 in der Grenzregion Berg Karabach zu vereinzelten Grenzverschiebungen gekommen war, wo erfuhren wir dann relativ schnell. 

Wir nehmen Heike, deren Iran-Visum in 2 Tagen abgelaufen wäre, am Grenzübergang Norduz wieder in Empfang und sind, zumindest in Armenien, wieder zu dritt.


Am Aras, dem Grenzfluss zwischen Armenien und Iran, und am direkt an der Straße errichtetem Stacheldrahtzaun entlang, folgen wir dem rötlichen Wasser des Flusses Richtung Osten.

Wenige Kilometer weiter aber, hinter dem Abzweig zurück nach Kapan, stehen wir plötzlich an einem Checkpoint, wird uns die Weiterfahrt verwehrt. Damit hatten wir jetzt nicht gerechnet, denn nun haben wir ein kleines Problem, da unsere bereits gebuchte Unterkunft sich irgendwo hinter dieser Sperrung befindet, nur 50 km entfernt. Wir hatten uns eigentlich auf einen entspannten Nachmittag gefreut, erfahren dann aber von unserer Unterkunft, dass wir über Kapan zurückfahren müssen, uns dort jedoch nochmal melden sollten. 170 km Umweg, dunkle Wolken am Himmel und der Nachmittag neigt sich dem Ende entgegen. In Kapan bekommen wir eine Wegbeschreibung der schlecht englisch sprechenden Frau aus der Unterkunft und verfahren uns prompt, weil eine angeblich neue Straße natürlich noch nicht im Navi verzeichnet ist. Erneuter Anruf und dann geleitet uns ein zufällig in der Nähe stehender Mann mit seinem Pkw zu der Stelle wo eine noch deutlich im Bau befindliche Straße abzweigt. Auch hier ist es ganz offensichtlich zu Grenzverschiebungen gekommen. Die Straße führt weitläufig um eine Bergkette herum. Am Ende stoßen wir wieder auf die Straße, die wir eigentlich hatten nehmen wollen und auf einen Militär- und Polizeiposten. Man wolle unsere Ausweise und werden nach den Gründen gefragt, {jcomments on}warum wir uns im Grenzgebiet aufhalten. Ich reagiere etwas ungehalten ob dieses erneuten Stopps in Anbetracht der noch vor uns liegenden Strecke und der weiterhin sehr dunklen Wolken, die beiden anderen sind da etwas gelassener. Nach etwa 30 Minuten und einigen Telefongesprächen der Polizisten können wir dann endlich weiterfahren. Unterwegs fahren wir bei jedem in Richtung Aserbaidschan führen Abzweig an einem Posten vorbei und erreichen ziemlich platt in der Dämmerung, aber trocken unsere Unterkunft. Eine junge russische, englisch sprechende Familie mit einem etwa 5jährigen Sohn sind die einzigen, mit denen wir den Pool und die Gemeinschaftsräume teilen müssen und die uns einladen an ihrem Essen teilzunehmen. 

Da man uns preislich nicht entgegenkommen will, verzichten wir auf eine weitere Nacht und fahren zu der Unterkunft in Goris, in der Peter und ich zuvor bereits übernachtet hatten. Am gleichen Ceckpoint wie am Abend zuvor wieder Kontrolle und Fragen, diesmal aber nicht so lange.

Abends beim Bummel durch die insgesamt überschaubare Innenstadt, zeigt sich, dass die ehemalige Sowjetunion auch hier deutliche architektonische Spuren hinterlassen hat, aber der Zahn der Zeit auch mit großen Mahlwerk langsam alles verkommen lässt. Schön bzw. sehenswert ist etwas anderes.

Da Peter und ich uns die Fahrt zum Kloster Tataev mit der Seilbahn, der "Wings of Tatev" aufgespart hatten, waren wir anstatt der etwa 12 minütigen Fahrt in der Gondel lieber mit dem Motorrad die kurvenreiche Strecke hinauf und wieder runtergefahren, stand nun eine Fahrt zu dritt und die Besichtigung des Klosters von Tatev auf dem Tagesplan. Bei strahlendem Sonnenschein nehmen wir uns ein Taxi und fahren zur etwa 20 Minuten außerhalb von Goris gelegenen Basis-Station. Dunkle Wolken kündigen eine unverhoffte Wetteränderung an und so geht dann auch während unserer Fahrt ein mega Gewitter runter. Oben warten wir etwa eine Dreiviertelstunde und nutzen eine kurze Regenpause für das Kloster um dann wieder zurückzufahren. Aus den angesagten 12 Minuten pro Richtung werden dann wetterbedingt 75 Minuten.

Wir wollen weiter nach Norawank, einem offenbar sehenswertem Kloster zwischen Goris und Yerewan, der Hauptstadt Armeniens. In der Nähe des Klosters wollen wir, wenn sich das Wetter halten sollte, unsere Zelte aufschlagen. Zuvor aber fahren wir ins etwa 20 km entfernte, östlich von Goris und in einem angeblich malerischen Tal mit bizarren Felsformationen gelegene, Höhlendorf Khndzoresk. Bevor wir aber vom Parkplatz aus das Dorf erreichen, geht es zuvor steil über 432 Stufen einer an mancher Stelle leicht wackeligen Treppenanlage hinunter zu einer 160 m langen Hängebrücke. 

In Anbetracht unserer noch vor uns liegenden Strecke, der zunehmenden Temperaturen, des Rückwegs über die Stufen wieder hinauf oder vielleicht auch nur des langsam aufkommenden Gefühls mittlerweile genug Höhlen und tote Steine gesehen zu haben belassen wir es mit der Überquerung der Hängebrücke und machen uns dann wieder auf weiter Richtung Norawank. Bei Sisian müssen wir dann jedoch eine Zwangspause einlegen um einem kräftigen Gewitter zu entgehen. 

Kurz hinter Sisian ist die Tour dann für mich als Vorrausfahrender mit einem Schlag zu Ende. Weder ein Brems- noch ein Ausweichversuch verhindern, dass ich in das Hinterrad eines abbiegenden Treckers krache, der aufgrund fehlender Beleuchtungseinrichtungen sein Vorhaben noch nicht mal hätte anzeigen können. Ich gerate unter den Trecker, werde im Hüftbereich vom Hinterrad und dann im Brustbereich vom Rad des Anhängers überrollt. Peter stoppt den weiterfahrenden Treckerfahrer und Heike kümmert sich sofort um mich. Meine ersten Gedanken drehen sich um meine Wirbelsäule, nachdem ich das Gefühl durch das Profil des Hinterrades in der Körpermitte zermalmt zu werden, verdrängen kann. Ich kann meine Füße bewegen. Eine Frau eilt herbei verabreicht mir eine Spritze. Wenig später, nachdem der Krankenwagen erst an der Unfallstelle vorbeigerast war, werde ich auf die Trage gehoben und in den Krankenwagen sowjetischer Machart geschoben und komme mir vor wie in einer Ölsardinendose. Nach schmerzhafter holpriger Fahrt ohne jeglichen Dämpfungskomfort erreichen wir ein sogenanntes "Medical Center", einem Flachbau einfacher Bauweise und ich werde in eine Raum geschoben, der mich im ersten Moment an einen Lagerraum erinnert.

Doch dann stehen moderne medizinische Geräte bereit, werde ich von allen Seiten durchleuchtet, stehen mehrere Ärzte um mich herum, einer in Uniform, und man erklärt mir nach kurzer Zeit, dass man sofort operieren müsse um mein Leben zu retten. Nach fast 4 Stunden hat man es dann ganz offenbar geschafft.

Nach einer schmerzhaften und unruhigen Nacht, das Geschehen immer wieder vor Augen, werde ich dann in einem etwas komfortableren, aber an deutsche Verhältnisse lange nicht heranreichenden Krankenwagen aus chinesischer Produktion, nach knapp 4 Stunden Fahrt auf die Intensiv-Station des Krankenhauses in Yerewan verlegt.

Peter und Heike kümmern sich um mein Wohlbefinden und vor allen Peter, der schon kurz nach dem Unfall alles in Wege leitet um meinen Rücktransport nach Deutschland so schnell wie möglich sicherzustellen, ist im ständigen Kontakt mit der Versicherung und dem ADAC. Heike gibt sich als meine Ehefrau aus, damit sie Zugang zur Intensivstation bekommt, denn, so ist das Medizinwesen in Armenien offenbar aufgebaut, alles was man zusätzlich benötigt, muss über Ausstehende, Familie oder Freunde geschehen, denn es gibt auch keinerlei Essen oder Getränke. Meine Schutzengel, meine Schutzkleidung aber in erster Linie die drei Ärzte in Sisian haben mir das Leben gerettet. Meine beiden Engel auf Erden waren Heike und Peter.

Der liegende Rückflug erfolgte dann ohne Probleme am 24.6.22, acht Tage nach meinem Unfall. Das Motorrad ist nur noch Schrott und wird in der kommenden Zeit ebenfalls nach Deutschland transportiert, da es nach armenischen Vorgaben innerhalb eines Jahres wieder ausgeführt werden muss.

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