Im Süden Norwegens
Tag 219 ff - Norwegen: Es ist halb acht. Ich ziehe die Gardine zur Seite und sehe blauen Himmel, ich blicke auf mein Handy und habe eine neue Email erhalten. Hille, der eigentlich Paul heißt und den ich in Tallin an der Fähre kennengelernt hatte, hat gestern spät am Abend meinen letzten Blogbeitrag kommentiert.
"Wir sind gar nicht so weit weg von einander.... ich bin auf einem Campingplatz in Valle". Das muss man erstmal hinbekommen. Da fährt man anschließend seinen eigenen Weg durch Finnland und Norwegen und hat dann etwa 5 Wochen später zufällig auf dem gleichen Campingplatz das Nachtlager aufgeschlagen. Also mehr Hille, der schlief im Zelt, ich im Holzhaus. Wenig später sitzt er bei mir im Warmen und wir trinken Nescafe und tauschen unsere Erlebnisse aus. Die Zeit vergeht und plötzlich ist es Mittag. Hille baut sein Zelt ab während ich mich winkend auf den Weg mache. "Bis nachher" rufe ich noch scherzhaft, da wir für heute die gleiche Fahrtrichtung nach Lysebotn haben.
Von der 450 biege ich auf die 4224 Richtung Lysebotn ab. Endlich bekomme ich einmal einen Eindruck wie die Hochebene in Norwegen aussieht und wie die Tage zuvor im Nebel verschwundene aussehen könnte. Spärliche Vegetation, viel Geröll und aufgrund dessen, dass ich bereits in einer Höhe um 1000 m unterwegs bin, sind die eigentlichen Berge fast nur noch Hügel. Irgendwann komme ich am einzigen Rastplatz auf der gesamten Strecke vorbei, der eigentlich mehr ein etwas breiterer Seitenstreifen mit Schotterbelag ist und traue meinen Augen nicht. Ich bin ganz offensichtlich nicht der erste der hier vorbeikommt. Auf beiden Seiten der schmalen Straße stehen im umliegenden Gelände unzählige Steinmännchen. Es müssen hunderte sein.
Einige Kilometer weiter komme ich zu einen ziemlich großen asphaltierten Parkplatz mit Hubschrauberlandeplatz, an den sich ein größeres, am Abgrund stehendes ovales Restaurantgebäude anschließt. Von hier beginnen die Wanderungen zum "Kjerag"-Felsen, einen Felsbrocken der in einer Felsspalte hoch über dem Fjord eingeklemmt ist und auf dem sich Touristen gerne fotografieren lassen. Das Restaurant hat geschlossen. Der beidseitige Zugang zum rückwärtigen, am Abgrund entlangführenden Balkon ist ebenfalls geschlossen. Das Treppengeländer auf der einen Seite ist schnell überwunden und schon stehe ich allein auf dem Balkon und blicke über den Abgrund zum tief unter mir liegenden Lysebotn.
Die Wanderung zum Kjerag hatte ich von Anfang nicht auf meinem Zettel, da die Wanderung dorthin etwa zwei Stunden dauern soll. Und selbst wenn, es war dafür schon zu spät. Während ich zu meinem Motorrad gehe fährt Hille auf den Parkplatz. Das war jetzt allerdings kein Zufall mehr, da er in der Nähe zelten, morgen die Wanderung zum Kjerag machen und dann erst die Fähre nehmen will. Nochmals kurz geschnackt und dann vermutlich für immer Tschüss gesagt.
Kurz hinter dem Restaurant beginnt die etwa 7 km lange Serpentine ins Tal. Da an einigen Stellen der Fels zu steil ist hat man einen Teil der Strecke in den Berg verlegt. 1100 Meter lang ist Tunnel mit einem etwa gleichen Gefälle. Unten angekommen ist es nicht weit bis zum Fähranleger. Ein Bagger steht an der Haltelinie. Vom Fahrer erfahre ich, dass die Fähre in etwa 20 Minuten kommen werde. Klappt ja doch mit den Fähren. Könnte allerdings sein, dass ich nicht mitfahren kann, weil es sich bei der Fähre mehr um eine Personenfähre mit nur sehr begrenztem Platz für Fahrzeuge handelt und ich mein Motorrad hätte anmelden müssen. Neben dem Bagger und einem Pkw findet mein Motorrad dann aber doch noch genügend Platz. Es hat manchmal doch etwas Gutes ein Motorrad zu fahren und in der Nebensaison unterwegs zu sein, denn der Baggerfahrer erzählt mir, dass im Sommer hier der Bär los sein solle. Auf der Fahrt nach Forsand passieren wir Flörli und ich sehe einen Teil der längsten Holztreppe der Welt, 4444 Stufen sollen sein, und etwas weiter den Preikestolen. Hille schreibt mir später, dass er die Fähre von Balkon des Restaurants gesehen habe, morgen am Samstag keine führen und er in einem weiten Bogen zurückfahren müsse. Na dann habe ich ja alles richtig gemacht. Auf der Seite von booking.com finde ich 20 km entfernt eine günstige Unterkunft im Hotel direkt an der Basisstation zum Preikestolen. Wer weiß, dass Wetter soll morgen gut werden.
Und es wird gut. Richtig gut. Strahlend blauer Himmel und wenige Wolken. "The early bird" kann mich zwar, aber dann bin ich doch um 9 Uhr auf dem Weg. Eine wahrhaft richtige Entscheidung wie sich noch herausstellen wird. Der 4 km lange Wanderweg beginnt direkt am Parkplatz des Hotels. Meine Motorradbekleidung habe ich im Hotel hinterlegen können, so muss ich mich nicht in Motorradmontur auf den Weg machen. Es geht schon gleich mit einer gehörigen Steigung los. Anfangs noch Schotter gehe ich überwiegend über Felsbrocken und gelegentlichen Stegen, steige aus unterschiedlichen großen Felsbrocken errichtete Treppen hinauf und im oberen Bereich über mehr oder weniger glatte Felsrücken. Insgesamt überwinde ich 330 Höhenmeter bei teilweisen Steigungen, die einem die Kniescheiben glühen lassen. Insbesondere bei einem Teilabschnitt, den Sherpas aus Nepal 2013-2014 ausgebaut haben sollen, geht es über Stufen, die schon mal die doppelte bis dreifache Höhe einer normalen Stufe haben und mich der Winkel an eine an der Wand angelehnte Leiter erinnert. Nach 90 Minuten habe ich es geschafft und bin oben, aber auch ziemlich fertig. Wie soll erst der Abstieg werden? Aber erstmal genieße ich einen phänomenalen Ausblick. Mit mir sind insgesamt 9 Personen auf dem Plateau. Drei junge Männer und ich stehen vorne, die anderen haben offenbar schon ihre Fotos gemacht und sitzen etwas im Hintergrund. Ich sitze zwischendurch am Abgrund und genieße die die Weitsicht und Stille, soweit es die drei jungen Männer zulassen.
Nach einer Weile mache ich mich wieder auf den Rückweg, komme aber auf die glorreiche Idee eine ausgeschilderte Alternative zu nehmen, steige dafür anfangs erst noch weiter nach oben um dann nach einem Abstieg über steile Felsrücken irgendwann auch weiter unten andere Wanderer zu sehen. Ich muss dann wohl eines der verblassten, auf Felsen gemalten Zeichen übersehen haben, denn plötzlich stehe ich vor einem Abgrund. Über 30 Minuten kräftezehrender Weg umsonst. Als ich wieder an der Hinweistafel ankomme hat sich die Anzahl der Menschen auf dem Plateau bereits mehr als verdoppelt. Nach 90 Minuten bin ich dann wieder am Parkplatz und heilfroh so früh unterwegs gewesen zu sein, denn auf dem Weg war mir ein wahrer Völkerstrom entgegen gekommen. Mehrmals musste ich auf einem Sockel warten, bis unterschiedlich große Kleingruppen mit Kind, Kegel und Hund an mir vorbei waren. Wie um alles in der Welt wollen die alle auf das Plateau passen? Aber das soll nicht mein Problem sein.
Ich sitze in der Mittagssonne, trinke eine Cola und gehe dann zum Hotel und ziehe mich um. Die Fähre nach Lauvvik bekomme ich diesmal punktgenau und setze schon bald meine Weiterfahrt Richtung Süden fort. Anfangs noch auf der E 39 geht es über die RV 44 bald wieder auf schmalen Straßen durch bergiges Gelände. sieht es entlang der E 39 teilweise aus wie im Voralpenland, die Berge nicht mehr so hoch, die Täler breiter und Kühe auf deutlich mehr grünen Wiesen, fahre ich wieder durch eine abermals faszinierende Gegend, entlang kleinerer Seen, Felsen und Wälder, die nun aber nicht mehr nur aus überwiegend Fichten, Kiefern und Birken bestehen, sondern vermehrt auch den Namen "Mischwald" verdienen. Auch ist hier der Herbst noch nicht so weit fortgeschritten, haben die Birken vielleicht erst zur Hälfte ihre ersten gelben Blätter. Ich bin schon kurz vor Flekkefjord, einem netten kleinen Ort, dem man bei nächster Gelegenheit mal etwas mehr Zeit widmen könnte, als ich eine Felsenge passiere und unter einem riesigen Felsvorsprung zwei alte Holzhäuser sehe. Helleren. Auf einer Tafel lese ich, dass die Häuser aus dem 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts stammen und Teil des norwegischen Kulturgutes seien. Weiter lese ich, dass dieser Ort jährlich von 35000 Menschen besucht werde und ich bin froh, dass jetzt nur noch ein Pärchen hier ist. Auf einer kleinen Farm finde ich ein günstiges Holzhaus, dass ich mir in der Größe , Art und Ausstattung auch als mein eigenes Wohnhaus vorstellen könnte.
Helleren
Bei bestem Wetter geht es kurvenreich, gelegentlich in unmittelbarer Nähe zur Küste, meistens jedoch durch bewaldete Gegenden. In Lindesnes besichtige ich den ältesten Leuchtturm von Norwegen, unter dem sich noch eine kleiner Bunkeranlage befindet und mache eine kleine Rundtour durch Mandal, der südlichsten Stadt Norwegens. Hinter Kristiansand bin ich dann der einzige Gast in einem kleinen Feriencenter und stelle erst später fest, dass es sich um ein Nudistencamp handelt.
Leuchtturm in Lindesnes
Der nächste Tag wird fasst gänzlich vom Kurvenfahren in bewaldeter Landschaft geprägt. Unterwegs bekomme ich von einer Harley-Fahrerin mit Reibeisenstimme und braunem Zeigefinger ein paar Tipps und fahre dann zur größten, aus dem 13. Jahrhundert stammenden norwegischen Stabkirche in Heddal, die dann leider seit einer Woche saisonbedingt schon geschlossen hat.
"Klönschnack" in Heddal
Stabkirche in Heddal
Morgen habe ich hinter Oslo ein Date mit einem Reifenhändler. Der Hinterreifen ist mehr als fällig. Quasi überfällig. Oslo werde ich links liegen lassen und nach Fredrikstad, einer alten Garnisonsstadt aus dem 17. Jahrhundert, nahe der Grenze zu Schweden fahren.
Der Reifgenwechsel verzögert sich dann um drei Stunden, weil sich der Reifen noch in der Anlieferung befindet. Zeit, die ich gerne in Fredrikstad verbracht hätte, zumal dort die Sonne scheinen soll, ganz im Gegensatz zu Oslo. Frederikstad liegt am Glomma, dem längsten Fluss Norwegens. Da es aber im Altstadtbereich keine Brücken gibt, verkehren 24 Stunden am Tag kostenlos kleine Personenfähren in regelmäßigem Abstand. Eine von ihnen fährt ein ganzes Stück den Fluss entlang, so dass man gratis noch eine kleine Flussfahrt erhält. Der eigentliche Festungskern, an einer Seite grenzt er an den Glomma und ist ansonsten umgeben von einem Wallgraben, war ehemals mit über 200 Kanonen bestückt. Nicht weit entfernt habe ich mir für meine letzte Nacht in Norwegen ein Hotelzimmer genommen. Morgen geht es nach mehr als einem Monat weiter nach Schweden.
Eine von ehemals 200 Kanonen
Kunst im öffentlichen Raum in Fredrikstad
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Tags: Norwegen