FV 17 - Country Road

Tag 206-210 - Norwegen: Silhouettenhaft taucht eine Bergkette auf, hinter der sich in scheinbar sehr weiter, aber südlicher Entfernung so etwas wie ein hellgrauer Streifen zeigt. Schwarz-weiß Enthusiasten bräuchten hier weder nacharbeiten noch einen entsprechenden Modus einschalten, ein perfektes Panorama für die analoge Fotografie. Hier hätte auch der Film "The Fog-Nebel des Grauens" gedreht werden können.

Als ich meine Tour für Norwegen plante, wusste ich nur, dass ich von Bodø aus so nah wie möglich an der Küste entlang nach Trondheim fahren wollte. Durch die nahe schwedische Grenze wirkt Norwegen in diesem Bereich jedoch wie ein Flaschenhals und wäre die Autobahn fast die einzige Alternative. Die insgesamt 630 km lange Kreisstraße FV 17, im Norwegischen Flykesvei, beginnt gleich hinter Bodø und ist ganz nach meinem Geschmack, vor allem wesentlich weniger frequentiert als die sonstigen Verbindungsstraßen. Mehrmals muss man mit einer Fähre übersetzen, wird die gesamte Fahrt dadurch aber auch entschleunigt. 

Hafen von Bodø

Nur noch einmal werde ich leicht vom Regen befeuchtet ansonsten wird es den restlichen Tag trocken bleiben. Etwa 15 Minuten hinter Bodø dann das erste Highlight, der Saltstraumen, der stärkste Gezeitenstrom der Welt. Durch die Meerenge fließt das Wasser mit einer Geschwindigkeit von bis zu 40 km/h bei einem Tidenhub von etwa 3 Metern. Eine Brücke überspannt den Saltstraumen und bietet etwas abseits von einem Hügel aus, trotz des grauen Himmels, ein interessantes Fotomotiv. Ich nutze das Plätzchen für ein zweites Frühstück und fahre anschließend fast immer am Wasser entlang. Bizarre Wasserfälle die aussehen wie Herzkranzgefäße zeichnen sich an den gegenüberliegenden steilen und dunklen Felsen ab und könnten aus der Ferne auch Silberadern in einer Bergwerksmine sein.

Saltstraumen

Nach einem knapp 7 km langen Tunnel halte ich neben einem See auf dem dortigen Parkplatz an. Ich weiß nicht genau wo ich bin, aber das ist auch egal, denn eine Person auf einem Quad mit Anhänger zieht meine Neugierde auf sich. Sie hat sich offenbar gerade den Helm aufgesetzt, scheint ihre Kleidung für die bevorstehende Fahrt zu richten, fährt dann seitlich am See vorbei und verschwindet aus meinem Sichtfeld. Ich möchte wissen, was mich eventuell erwarten könnte und fahre ein Stück hinterher, halte aber zunächst an einer Hinweistafel und erfahre, dass ich mich am See Fykanvatn befinde, die gesamte Gegend ein Trinkwasserreservoir sei und ganz in der Nähe Felsenmalereien aus der Zeit 5500 bis 7000 vor Christus zu finden wären. Ein weiteres Schild, dass man die Straße auf eigene Gefahr befahre und sie jederzeit ohne Vorwarnung gesperrt werden könne, ist dann das letztes Quäntchen, das mich der schmalen Straße folgen lässt.

Ich komme an einen Tunneleingang der eher provisorischer Art zu sein scheint. Plastikplanen decken die ersten Meter der Decke und Seitenwände ab, der Straßenbelag ist buckelig und es fehlt jegliche Beleuchtung. Auch ist kein Hinweis zu finden wie lang der Tunnel ist. Ich schalte das Fernlicht ein und stelle mich auf die Fußrasten um aus dem Blendungsbereich von Navi und Handy zu kommen und so wenigstens etwas mehr von der Fahrbahn und vor allem vom Fahrbahnrand zu sehen. Insgesamt ist der Tunnel etwa 1,5 -2 Kilometer lang und ich absolviere ca. 280 Höhenmeter.

Am Ende aber öffnet sich mir ein Tal das von einem breiten Gebirgsbach durchzogen und von einem großen Wasserfall gespeist wird. Ich stelle das Motorrad ab und gehe einen kleinen Abhang hinunter und wate durch den flachen Bach. Ich komme mir vor wie Trapper John. Aller Frust der letzten Tage, aller Missmut über das schlechte Wetter sind vergessen. Was ist das hier für eine abgeschiedene geile Gegend, was für ein unglaubliches Bild.

Wieder auf dem Motorrad folge ich der Straße den Berg hinauf, komme an einen Abzweig, entscheide mich für den linken und muss erneut durch einen ähnlichen Tunnel. An seinem Ende tropft es fast einem Wasserfall ähnlich direkt vor dem Ausgang auf die von Schlaglöchern übersäte Straße.

Vor mir ein kleines Tal, weiter rechts unterhalb der hinaufführenden der Straße eine Höhle bzw. Höhlenöffnung größer als ein Garagentor aus der ein Bach heraussprudelt und rechts eine riesige, aus großen, losen Steinen verkleidete Mauer, eine Staumauer. Ich fahre die Straße weiter. Sie wechselt von Asphalt auf Schotter. Noch ein paar Wendungen und kleine Steigungen und dann stehe ich auf einem Plateau und glaube mich auf dem Dach der Welt. Zwei Holzhütten stehen am Rand eines türkisfarbenen Sees, rundherum Steine, Geröll und schneebedeckte Berge. Es ist windig aber bei 7 Grad nicht besonders kalt. 

Spätestens beim Abfahren von der FV 17 wurde ich gefühlt für das schlechte Wetter auf den Lofoten schon nach wenigen Kilometern entlohnt, ab dem zweiten Tunnel jedoch reich beschenkt und jetzt hier oben fühle ich mich unsagbar befreit. Diese triste Einöde, diese gesehene Kälte, die sich in wenigen Wochen mit Sicherheit in eine deutlich gefühlte verändern dürfte, die Farbe des Stausees sind etwas, das ich in meinem ganzen Leben so noch nicht ansatzweise gesehen habe. Es fällt mir schwer mich wieder aufs Motorrad zu setzen und zurückzufahren, denn noch habe ich keine Unterkunft und ist es schon Nachmittag, liegen bis zur nächsten Ortschaft noch einige Kilometer vor mir. 

Auf der Rückfahrt überlege ich kurz, ob ich mir die Felsenmalereien noch ansehen sollte, müsste ich aber dafür einiges den Berg hinauf und entschließe mich es dabei zu belassen, dass ich hier gewesen bin. Ich fahre durch den folgenden etwa 7,5 km langen Tunnel, dann erneut am Ufer eines Fjords entlang und habe eine wundervolle Aussicht auf einen großen Teil seiner gesamten Länge. Und dann blicke ich nach links und traue meinen Augen nicht. Ich fahre auf den nahen Parkplatz, suche mir eine Stelle, wo ich einen von Büschen und Bäumen ungehinderten Blick habe und sehe wieder einmal zum ersten Mal in meinem Leben einen hellblau schimmernde Gletscher. Auf einer Hinweistafel lese ich, dass ich vor dem Svartisen Gletscher stehe.

Was für ein unglaublicher ja fast manisch-depressiver Tag. 

Ich hatte auf dem Campingplatz in Furoy übernachtet und brauchte so nur wenige Minuten zum Fähranleger. Als ich dort ankomme, ist die Fähre bereits auf See und ich stelle am ausgehängten Fahrplan fest, dass der Platzwart offenbar noch nicht mit dem Winterfahrplan vertraut ist. Kein Problem, denn im Nachbarort gibt es einen Supermarkt mit Bistro wo ich erstmal frühstücke. Wieder am Fähranleger komme ich mit einem jungen Pärchen mit Wohnmobil aus Heidelberg ins Gespräch. 

Auf der anderen Seite erreiche ich nach 30 km den nächsten Fähranleger aber diesmal beträgt die Wartezeit satte drei Stunden. Kurz nach mir rollt auch das junge Paar an die Haltelinie. Beide sind Motorradfahrer, erfüllen sich aber gerade ihren Traum und haben sich ein Jahr Auszeit genommen, die Mietwohnung gekündigt, sich das Wohnmobil gekauft und wollen damit Europa bereisen. Seit drei Monaten seien sie bereits unterwegs und nun auf dem Weg in wärmere Gefilde. Sie laden mich spontan zu einem kleinen Mittags-Snack ein und wenig später kommt auch schon die Fähre. Knapp eine Stunde dauert die Fahrt und wir überqueren dabei den Polarkreis. Die beiden finden nicht weit entfernt einen Parkplatz für die Nacht und ich nach einer Fahrt erneut immer am Wasser entlang und einmal kurz in einen Regenschauer kommend, auf einem Campingplatz in Nesna, dem nächsten Fährhafen, eine Hütte direkt am Wasser. 

Vielleicht werde ich morgen ungefähr die Hälfte der Strecke zurückgelegt haben, weiß aber trotz des weiterhin regenverhangenen grauen Himmels, dass ich diese Strecke nochmal fahren könnte, vielleicht sogar zweimal. An dieser Straße steht mit Recht immer wieder unter dem Schild der "17" das Schild für eine Sehenswürdigkeit. Man könnte auch Panoramastraße dazu sagen oder was die Tourismusbranche noch dazu sagen würde. Ich habe, abweichend von meiner eigentlich geplanten Strecke, den weiteren Streckenverlauf bereits dahingehend verändert, dass ich die komplette 17 fahren werde. Egal wieviel Wartezeit ich an den nächsten Fähranlegern verbringen muss.

Der Regen prasselt aufs Hüttendach und ich werde wach. Ich sehe aus dem Fenster und das nur wenige Meter vor mir beginnende Wasser des Fjord ist eins mit der Regenwand, so dass von der gegenüberliegende Felswand nichts mehr zu erkennen ist. Die Wetter-App sagt Dauerregen für die nächsten Tage voraus. Ich gebe schnellste Route nach Trondheim in mein Navi ein und erhalte die Auskunft, dass es mehr als 9 Stunden seien. Ich sitze in südlicher Richtung in einer Sackgasse und muss auf jeden Fall die Fähre nehmen, dann kann ich auch auf der FV 17 bleiben. Die paar Stunden mehr oder weniger machen den Kohl dann auch nicht mehr fett. 

Es schüttet nach wie vor wie aus Eimern. Die ultrakurzen Augenblicke in denen es nur nieselt nutze ich für die Toilette, zwei weitere um mein Motorrad zu bepacken. Diesmal bin ich pünktlich am Fähranleger, aber wenige Minuten vor der eigentlichen Abfahrt zeigt die Anzeigetafel an, dass diese Fähre ausfällt. Das ist doch zum verrückt werden. Bis dato hat nicht einmal etwas in Norwegen mit einem Schiff geklappt. Wer zieht da eigentlich wo die Fäden. Um halb eins komme ich dann endlich auf der anderen Seite an und kann die ersten Etappenkilometer fahren. Bis Brønnøysund, wo ich übernachten will, sind es nur 100 km zuzüglich dreier Fährpassagen. Am zweiten Fähranleger komme ich ohne Regen an. Der Fahrer des Wohnmobils das neben mir steht steigt aus und wir kommen ins Gespräch. Dann sagt er mir, dass er mich kenne, bzw. vor zwei Wochen an der Grense Jacobselv gesehen habe. Ich hätte mich dort mit zwei Soldaten unterhalten und er sei in einem Pkw vorbeigefahren und habe ein Foto gemacht. Dann zeigt er mir das Foto und erst da kann ich es wirklich glauben. Was kann die Welt doch klein sein, das sind doch keine Zufälle mehr. Da treffe ich zwei Wochen später den Mann wieder, der eigentlich nur kurz in meinem ersten Bericht über Norwegen von mir erwähnt wird. Ich bin mal wieder um ein unglaubliches Erlebnis reicher. 

Wandertag. Davon weiß ich aber noch nichts, als ich die Gardine zur Seite schiebe und zufrieden feststelle, dass es nicht regnet, ja sogar länger wohl schon trocken ist. Zuhause ist kurze Hosen Wetter angesagt mit um die 20/25 Grad. Hier nicht so. 9 Grad, stark bewölkt und ziemlich windig. Ich mache mich auf den Weg zum Torghatten, der als Sehenswürdigkeit ausgewiesen ist. Ich fahre über eine dieser steilen und hohen Brücken, wo jeder Pott drunter herpasst und bin froh, dass ich bei einem Seitenwind von 22 m/s laut Anzeigetafel, drüben ankomme. Der Torghatten 160 m lang, 35 m hoch und 20 m breit und gehöre laut einer Hinweistafel zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Nordnorwegens. Da es trocken und ein Wanderweg ausgeschildert ist mache ich mich auf den Weg und steige über gelegentliche Stufen und ansonsten Geröll den steilen Hang hinauf. Oben im Loch stehend habe ich eine geniale Sicht sowohl in südliche als auch nördliche Richtung. 

Der Abstieg, auch mit viel Geröll, ist da schon etwas kabbeliger weil steiler, bei gleicher Gerölllage.  Hätte ich es gewusst, wäre ich den umgekehrten Weg gegangen. So komme ich dann zum Abschluss aber noch zu einem tollen Blick auf Felsen mit Loch aus unmittelbarer Nähe. Zwei Stunden hat die Tour gedauert und als ich den Parkplatz verlasse fängt es, es musste wohl so sein, wieder an zu regnen. Mein Magen knurrt und so halte ich an einem Supermarkt an und vertilge die drei Croissants noch ich an Ort und Stelle. Etwa sechs Kilometer vor der nächsten Fähre kommen mir drei PKW und zwei LKW entgegen und ich gebe Gas, dann sehe ich die weit geöffnete Bugklappe und habe noch Hoffnung, komme um die nächste Kurve und muss doch anderthalb Stunden warten. Ich war eine Minute zu langsam oder habe zwei Croissants zuviel gegessen. Wie auch immer. In einem kleinem Hotel das ich einige Kilometer später finde bin ich nicht nur der einzige Gast, sondern der einzige Mensch, weil der Hotelier noch andere Verpflichtungen hat.

Es sind nur noch etwa 120 km, dann ist die FV 17 beendet und weitere 120 bis Trondheim werden folgen. Die Strecke selbst ist eher unspektakulär, das Wetter dafür um so mehr. Zwar sind es hier satte 20 Grad weniger als aktuell in Deutschland, aber die Sonne scheint. Allerdings nur bis Mittag, dann setzt wieder Regen ein.

Fazit: Auch wenn es überwiegend geregnet hatte und ich von der Landschaft meistens nur etwas mit Grauschleier gesehen habe, ist die Strecke absolut sehenswert. Sollte ich nochmal nach Norwegen kommen, werde ich die FV 17 aber in nördliche Richtung fahren, denn sollte die Sonne dann mal scheinen, schiene sie mir nicht ins Gesicht.
Ich habe 5 Tage gebraucht, hätte es auch in 4 schaffen können, wenn ich den Torghatten gestern weggelassen hätte. Noch schneller halte ich für machbar, aber warum. Ich würde bei gutem Wetter sogar einen Tag dranhängen. 6 Fährpassagen waren zu absolvieren. Mit dem Motorrad relativ günstig, allerdings konnte mir keiner sagen wieviel tatsächlich. Die Kennzeichen werden eingescannt und die Rechnung kommt später. Ich rechne je nach Strecke mit 6-10 Euro.
Die meisten sind aber im Besitz einer Karte und zahlen damit nur die Hälfte. Man muss sich die Prepaid-Karte mit mindestens 1000 Kronen Guthaben von autopass.no kaufen und hat dann über eine App, so Bruno, der Mann der mich mit den Soldaten fotografierte, volle Kostenkontrolle. 

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