Albanien-naht das Ende?

Viel ist nicht passiert. Ich wurde nicht beklaut, nichts ist kaputt, bis auf nach wie vor das komisches Gefühl beim Vorderrad,

ich bin gesund und ich bin nicht umgefallen. Worüber soll man dann also berichten? Vielleicht darüber, dass meine Tour vielleicht bald beendet, ich zumindest auf dem Heimweg sein könnte, weil ich mich gefühlt in einer Sackgasse befinde.

Die Grenzen nach Russland, Georgien und Armenien sind immer noch geschlossen und damit bliebe mir im Augenblick mein großes Zwischenziel, der Kaukasus verwehrt, erst recht, aber das hatte ich mir im Laufe der Pandemie bereits abgeschrieben, die so genannten "5 Stan`s". Auch komme ich auf dem Landweg nicht so ohne weiteres nach Griechenland, denn die Grenzen von Albanien und auch Nordmazedonien sind bis auf unbestimmte Zeit ebenfalls dicht. Die Grenze von Griechenland zur Türkei im Übrigen auch, da gäbe es aber wenigstens den Umweg über Bulgarien. Der einzige offene Grenzübergang auf dem Landweg ist über Bulgarien bei Promachonas in Griechenland.

Möchte ich aber etwas mehr von Griechenland sehen als nur den östlichen Zipfel, müsste ich meiner Streckenplanung zumindest im Ansatz treu bleiben und dann bliebe mir nur noch der Seeweg, aber auch alle Fährverbindungen zwischen Albanien und Griechenland sind auf unbestimmte Zeit eingestellt.

Käme eventuell ein Umweg über Italien in Frage. Italien ist zwar grundsätzlich offen, aber für Reisende aus Drittländern, Albanien gehört dazu, gilt immer noch die 14-tägige Quarantänepflicht. Für alle Reisen nach Griechenland gilt außerdem seit dem 1. Juli, dass man online mindestens 48 Stunden vor Ankunft ein Formular, die "Passenger Locator Form" ausfüllen muss. Griechenland möchte u. a. wissen, wo man die 14 Tage vor Einreise gewesen ist. Bei mir ist das einfach, denn ich komme direkt aus Deutschland und war in Italien bei Freunden untergebracht. 

Einen Tag vor der beabsichtigten Einreise soll man dann einen QR-Code zugesandt bekommen. Ohne diesen kommt man nämlich nicht nach Griechenland. Hört sich vielleicht einfach an, ist aber im Hinblick auf das Buchen einer Fähre etwas unsicher, denn auf der App des auswärtigen Amts steht bereits, dass man wisse, dass es Probleme mit der Bearbeitung des QR-Codes gäbe. Was also, wenn der Code nicht kommt und man schon die Fähre gebucht hat.

Schon den Überblick verloren? Hatte ich anfangs auch, aber ich habe mich dann für den Weg über Italien entschieden. Sollte tatsächlich eine 14-tägige Quarantäne drohen, werde ich die Fähre ca. 4 Stunden später oder eine am nächsten Tag wieder zurück nach Albanien nehmen und dann über Nordmazedonien zumindest erstmal Richtung Bulgarien fahren und gucken was in der Zwischenzeit so passiert.

Mein Plan ist also mittags ab Vlora/Albanien nach Brindisi/Italien und am nächsten Tag mittags ab Brindisi nach Griechenland. Das klappt allerdings nur, wenn mich Italien trotz Quarantänepflicht ausreisen lässt. Es könnte klappen, denn im Transit müsste ich Italien nach 36 Stunden wieder verlassen haben, soweit ich das zumindest verstanden habe.

Ich merke jedenfalls, dass mir einerseits das immer noch vorhandene Vorderradproblem, andererseits das Grenzdebakel langsam etwas an die Substanz geht. Ich habe mir daher neben den beiden Übernachtungen auf der Burgruine in Kruja zwei Nächte in Berat verordnet und werde auch jetzt in Himare zwei Nächte bleiben. Das Hotel ist nur durch die Straße vom Strand getrennt und hat ein Restaurant. Was will ich also mehr.

Nachdem ich mein Domizil auf der Festungsruine in Kruja verlassen habe versuche ich erst über Nebenstraßen nach Tirana zu kommen.. Vergeblich. Wenn Insider von "Offroad" sprechen, dann sehen sie es aus Sicht eines Autofahrers und meinen nur mit "4WD". Das sehe ich dann und vor allem auch ein. Über weniger interessante breite Straßen geht es dann ins nahe Tirana. An einem Sonntag im Sommer muss man in Tirana nicht mit vielen Menschen rechnen, dann, so sagte man mir, hielten sich fast alle am nicht weit entfernten Meer auf. Mein Motorrad kann ich auf Handzeichen eines vor dem Rathaus "Wache schiebenden" Polizisten nur wenige Meter weiter abstellen. Bewachter Parkplatz sozusagen. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Tirana befinden sich im Zentrum und so kann ich mich nach nicht einmal zwei Stunden in den Schatten der Oper setzen und dort ein Erfrischungsgetränk zu mir nehmen. Wenig später bin ich dann wieder unterwegs, komme kurz vor Berat in ein Gewitter und treffe triefend an meiner Pension ein. Mein Vermieter begrüßt mich freundlich mit einem Kaffee und einem Raki aus eigener Herstellung.

Skanderbeg-Platz mit Skanderbeg-Denkmal - im Hintergrund der ehemalige Kulturpalast, das heutige Historische NationalmuseumUhrenturm



Den folgenden Tag nutze ich für einen Ausflug zum Osumi Canyon. Da es auch morgens noch regnet komme ich erst gegen Mittag los, was mir aber sehr entgegenkommt.
Ich hatte die Strecke eigentlich für die Weiterfahrt geplant, aber mein Vermieter riet mir aufgrund der etwa 10 km langen schlechten Schotterpiste davon ab.



Der Canyon ist für sich gesehen schön allerdings fehlt dem Wasser die eher sehenswertere bläuliche oder grünliche Farbe. Das Wasser des Osum oder albanisch auch Osumi ist hellgrau wie Zement, hat dafür aber ein paar spektakuläre Ecken zu bieten. Eine lerne ich kennen, als ich das Moped stehen lasse und in Ufernähe dem Flusslauf folge. Hinter einem Felsvorsprung mit relativ schmalem Durchlass für den Fluss gelange ich nach kurzer Zeit an einen scheinbaren Schmugglerpfad, der über eine kleine schräge Holzbrücke auf der anderen Seite des Canyon irgendwo in den Felsen verschwindet. Abends lasse ich zusammen mit meinem Vermieter, seiner Frau und seiner Schwester den Tag bei einer Flasche albanischem Rotweines auf der Terrasse sitzend ausklingen.

Berat - Stadt der 1000 Fenster
Das kann auch Albanien: Vor 12 Jahren als Universität gebaut und vor 6 Jahren zum 5 * Hotel umgebaut, weil die Studenten lieber im Ausland studieren wolltenFlaniermeile in Berat
Nach einem erneut super tollen Frühstück bin ich wieder unterwegs

Himare lautet mein Ziel. Mal wieder etwas Meer und mehr, also weniger Berge bzw. Hinterland. Im Gegensatz zu den beiden ersten Tagen lerne ich ein paar Facetten von Albanien kennen, dass sich nicht in den Bergen, sondern in den Weiten des Flachlandes abspielt. So muss ich meinen Eindruck hinsichtlich der scheinbar weit verbreiteten Mercedes-Klasse revidieren. Je mehr ich auch in Städten unterwegs bin sind es nicht nur hubraumstarke Sterne die durch Gegend fahren, sondern auch Audi, Volvo, Porsche und BMW etc., Hauptsache potent. Und während die Frau die Tochter oder den Kleinen Jungen in der Sportkarre durch die Gegend schiebt, fährt der große Junge sich selbst spazieren. Frauen habe ich zwar in einem Fahrschulwagen gesehen, hinter dem Lenkrad der Boliden sitzt aber fast nur das Testosteron. 

ausgedient !

Als ich in Berat losfahre und nach und nach die Berge fürs erste hinter mir lasse, dort wo die Ortschaften größer und zu Städten werden, wo die Straßen gerader und breiter werden und die Industrien zu Hause sind, stelle ich fest, dass vieles aber auch kaputt ist. Neben brachliegenden Fabriken, Ölraffinerien oder bei Fier auch ein altes Ölkraftwerk, werden Brücken, Häuser, Straßen oder einfach auch nur Autos sich selbst bzw. der Natur überlassen. Neben dem Verfall ehemaliger Betriebe oder Wohnhäuser sehe ich aber auch sehr viele alte Rohbauten die vor sich hinrotten. Als ich in der Nähe von Roscovec eine Vielzahl verfallener Öltanks sehe, denke ich sofort an eine aufgegeben Raffinerie. Ich kann mich frei bewegen, kein Zaun, kein Schild, dass mir den Zutritt verwehren würde. Es stinkt nach Öl und stellenweise gehe ich an Ölflächen vorbei, die den Eindruck erwecken, als sei einer oder mehrere dieser Tanks undicht und in jeder Senke habe sich ein kleiner See aus Öl gebildet. 

ausgelaufen ?

Während ich fotografiere hält plötzlich ein Pickup neben mir und kurz danach ein zweiter. Der Fahrer stellt sich als Security vor und fragt mich was ich hier mache, ob ich von der Polizei sei und noch etwas was ich nicht verstehe. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass man mich für eine Art Spitzel oder ähnlichem hält. Ich antworte auf englisch, dass ich Tourist und auf dem Weg nach Vlora sei und eine solche Anlage noch nie zuvor gesehen hätte. Mehr nicht. Daraufhin winkt er dem zweiten Fahrer zu, dass alles in Ordnung sei, bietet mir freundlich nähere Informationen und auch etwas zu trinken an. Das Letztere dankend ablehnend erfahre ich, dass es sich angeblich um die größten Ölfelder in Europa handeln solle. Größer als die in Rumänien. Ich nehme das erstmal für mich so mit. Trotzdem scheint mir das ganze eine riesengroße Umweltsauerei zu sein, denn ich habe noch nie davon gehört, dass Albanien ein Ölförderland sein soll. Als ich weiterfahre sehe ich in der Ferne weitere Pumpen und rostige Tanks.

Später lese ich dann lm Internet, dass das Gebiet schon bei den alten Griechen als Ölfeld bekannt war und man in den 1930er Jahren mit der Ölforderung begonnen hatte, die Förderung nach Ausbruch des Krieges aber vorübergehend eingestellt werden musste. So gesehen hat das Ganze etwas von einen riesigen Freilichtmuseum. 

Wenn ich auf einem Plan, einer Landkarte oder wie in diesem Fall in meinem Navi eine größere eingefärbte Fläche neben einer Stadt sehe, die von der Größe ein ganzer Stadtteil sein könnte, dann regt sich der kleine Entdecker in mir. So lande ich dann auch auf eben diesem Gelände eines ehemaligen Elektrizitätswerks mit angrenzender Düngemittelfabrik aus den 1960ern Jahren. Schon von weitem kann man die sieben Kühltürme sehen, ist das Erdöl zu riechen. Auf dem Hauptgebäude des Elektrizitätswerkes steht in großen Lettern "T. E. C. 1966". Wie ich später nachlesen kann, handelt es sich um ein erst 2007 aufgegebenes Ölkraftwerk, das sein Öl aus der nahegelegenen Raffinerie bezog, womit sich der Kreis zu den heruntergekommenen und aufgegebenen Öltanks bei Roscovec schließt. Irgendwie ein "lost place" andererseits aber wohnen in den ehemaligen angrenzenden Gebäuden Menschen, haben sich einige ihr kleines Paradies geschaffen. So "lost" dann also doch nicht. Auch eine alte, schmale Brücke findet meine Aufmerksamkeit und ich fahre rüber, während ich aufpassen muss, dass ich nicht in das Loch rutsche, wo früher mal ein Teil des Brückenkopfes war.

"ausgedüngt"

ohne Strom - aber mit Spannung

Kühlturm von außenKühlturm von innen

Der Weg ist das Ziel

Nach längerer Fahrt sehe ich dann plötzlich wieder, aus den Bergen kommend, die blauschimmernde Adria unter mir. Eine halbe Stunde später komme ich in Himare an, Dusche und gönne mir einen gegrillten Tintenfisch.

Bucht von HimareLetzter Abend in Himare

aus den Bergen an die Adria

Ansonsten ist nicht viel passiert

Tags: Albanien, Balkan